Der Hexenschütz
In der Nähe der berühmten Klamm von Schlern stand einst an einem dunstigen und schwülen Gewittertag eine Bäuerin und gewahrte, daß die unheilschwangeren Wolken sich hinter Schwarzegg ballten und zusammenzogen. Es dauerte gar nicht lange, so fing es an zu donnern und zu blitzen. Bald fielen auch große Regentropfen auf die Bäuerin nieder, die ins Gewölk blickte und bei jedem Blitzstrahl sich bekreuzte. Nun kam auch der Bauer daher und sagte: "Kathl, heut gibt's ein arg's Wetter ab, wann's nur nicht hagelt." "Gott bewahr' uns davor", entgegnete die Bäuerin, und nach einer großen Wolke zeigend, sprach sie weiter: "Schau, Hansl, wie es dort in der Mitte des Gewülbes [Gewölkes] herumfährt, bald hin, bald her, bald qualmend, bald stoßend, und man merkt fast deutlich darin eine dunkle Gestalt mit einem Besen in der Hand."
"Das ist die Wetterhexe, die schieß' ich herunter", sagte der Bauer, als er, die Hand über die Stirne haltend, die schwarze Gestalt in der Wolke zu erkennen gemeint hatte.
"Hansl! Wenn du fehlen würdest, könnt's dir schlecht ergehn!"
"Ich fehle nicht, Kathl! Ich hab' geweihte Kugeln." So sprach
er, ging in die Kammer, nahm das Gewehr von der Wand, besprengte es mit
Weihwasser, lud Pulver hinein und die geweihte und bekreuzte Kugel und
eilte dann zur Klamm hinüber, zielte in die Wolken und drückte
los. Es knallte tüchtig. Auf einmal hörte der Bauer ein fürchterliches
Geheul in den Lüften, das kam immer näher und näher, und
plötzlich fiel eine Wetterhexe neben ihm tot nieder. Abscheulich
anzusehen lag sie vor ihm, worüber er sich so entsetzte, daß
er viele Tage ganz verwirrt herumging. Nachdem er Tag und Nacht keine
Ruhe gefunden, ging er endlich nach Afing hinunter zum Herrn Kurat und
erzählte ihm die ganze Begebenheit. Der Kurat, ein gescheiter Mann,
sprach dem Hexenschützen Mut ein und wußte ihn durch Zusprechen
bald wieder zurechtzubringen.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 363.