Der Hort in den reichen Feldern
Auf dem Mittelgebirge stand auf seiner Hutmatte ein Hüterbub und schaute empor; da erblickte er auf einem Felsenvorsprung eine Bergfaine, die war wunderschön. Sie trug ein blaues Gewand von der Farbe der Leinblüte und strählte ihr goldgelbes, reiches Haar. Und wie der Hirte so voller Verwunderung zu ihr hinaufschaute, nickte sie herab und rief ihm freundlich zu: "Stülpe deinen Hut auf!" - Der Bub gehorchte und stülpte die Krempe seines Hutes um und sah wieder empor, da war der ganze Berg ein klarer Kristall, schöner als alle gläsernen Berge, von denen die Kindermärchen erzählen, und durch die durchsichtige Klarheit strahlte der Goldhort in Form hellschimmernder Bäume und Gesträuche. Lange gaffte der Hirte so hin, mittlerweile sank die aufgestülpte Hutkrempe wieder in ihre vorige Lage zurück, und da schwand auch der Hort, und aus dem Kristall wurde wieder undurchsichtiges Gestein, und die schöne Bergfaine war verschwunden. Die gute Stunde war vorbei - weder die herrliche Jungfrau noch der helle Hort zeigten sich dem Hirten jemals wieder, er mochte seine Hutkrempe noch so vielmal aufstülpen.
Das Fräulein mochte wohl eine Schatzhüterin gewesen sein.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 51