Die Kellerlahn
Kellerlahn ist der Name einer gefährlichen Talstelle im Passeiertale, dort stürzen oft sogenannte "nasse Muren" als Schlammströme nieder, und schon mancher fand durch sie seinen Tod. Die Sage geht, daß dort einst ein blühendes Gefilde lag.
Einst wollte eine Bauernfrau, die wieder aus den Wochen war, nach dem
nächsten Dorfe gehen und sich von dem Priester aufsegnen lassen,
wie der fromme Brauch es vorschreibt; dabei ist aber noch der Volksglaube,
daß keine solche Kindbetterin ohne Begleitung und auch ohne etwas
Geweihtes solchen Weg antreten dürfe, weil sie außerdem der
verderblichen Macht von Hexen und Unholden sich preisgäbe. Deshalb
ließ sich auch diese Kindbetterin von der Kindswärterin begleiten
und ging mit dieser unter guten und heitern Gesprächen durch die
herrliche Gottesflur jener grünen Berggelände. Plötzlich
blieb die Kindswärterin stehen und fragte: "Hast du die Taufkerze?"
"Großer Gott, die habe ich vergessen!" antwortete bestürzt
die Kindsmutter. Diese Taufkerze ist aber unumgänglich notwendig
bei der Zeremonie des Aufsegnens, denn die gewesene Wöchnerin muß
dieselbe dabei brennend in der Hand halten und sie dann opfern. "Nun
harre nur hier", tröstete die Begleiterin, "du bist noch
schwach, ruhe unter jenem Baume aus, ich laufe zurück und hole die
Kerze und bin gleich wieder bei dir!" Gesagt, getan - aber ein banges
Gefühl überkam die Frau, sie war ja Wöchnerin, allein,
noch nicht gesegnet und trug auch nichts Geweihtes bei sich. Und droben
überm Berg hob sich empor ein grauenvoll unholdes Wesen, anzuschauen
wie die schaurige Runsa, sie schob den Berg vor sich her und verschüttete
die Unglückliche und wälzte die Schlamm-Mure weit ins Tal hinab.
Das war der erste Ausbruch der Kellerlahn, der sich in späteren Zeiten
noch oft wiederholt hat.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 265.