Die Klagestimme

An einem Punkte der Hochstraße, welche von Brennbichl nach Karrösten und Karres leitet, klagen in der Fastnacht weibliche Stimmen aus dem Bette des Inn herauf mit wehmütigem und herzzerreißendem Tone:

Brigitta, Brigitta!
Wie hast du uns übel geritta!

Einst wurde die Fastnacht lustig und fröhlich zu Imst begangen. Der Tag mit seinem Schemenlaufen und Mummereien neigte sich zu Ende, der Abend war schön und herrlich die Schlittenbahn; alle Talbäche waren fest zugefroren, nur der Inn, ziemlich eingeengt vom Eise, drängte noch seine raschen grünen Wellen murmelnd und rauschend durch die tief überschneiten Wiesenfluren. Da wandelte neun junge Imsterinnen die Lust an, durch eine Schlittenspazierfahrt sich abzukühlen von den Aufregungen des Tanzes und sonstiger Lustbarkeit. Burschen aber sollten nicht dabei sein. Ein großer Familienschlitten wurde bespannt, der acht von den sich zusammendrängenden Dirnen aufnehmen konnte, die neunte, Brigitta geheißen, die des Rosselenkens gar wohl kundig und stark und kräftig war, machte den Kutscher. Lustig und rasch ging es dahin, daß die schwarzen Hengste dampften, und frohes Gelächter belebte zu tausend Scherzreden die lustige Fahrt. Im Galopp ging es über Brennbichl den Hochweg, der dicht über dem Inn sich emporzieht, gen Karres hinauf, dann wurde gewendet, und nun sauste der Schlitten wieder abwärts. Die Mädchen im Schlitten schrien ihrer Führerin zu, sie solle sich da hinunter Weile lassen und nicht so toll fahren, denn es war an der Flußseite kein Geländer am Wege. Brigitta lachte, schalt ihre Gefährtinnen furchtsame Dinger und trieb mit Zunge und Peitsche ihr Gespann nur noch mehr an. Der Schlitten geriet aus dem Geleise, schwankte, und eines der Mädchen fiel heraus auf den Weg, dann schwankte er auf der ändern Seite, der des Flusses, und da war kein Halt mehr, Hengste, Schlitten und die acht Mädchen stürzten in den Inn, und das Zetergeschrei der letzteren durchdröhnte gellend die lichte Mondnacht. Noch zeigt man die Unglücksstelle, noch hört man die erwähnte nächtliche Klage. Die Gerettete trat in ein Kloster ein und betete unablässig für die Seelen ihrer Freundinnen.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 178