Der Klaubauf
Irgendwo im Paznauntale, den Ort nennt die Sage nicht, lebte ein unglückliches Ehepaar, das unter anderm auch ein Kind hatte, welches ihnen sehr viel Verdruß machte und durchaus nicht gehorchen wollte. Oft drohte die Mutter dem Kinde: "Wenn du gar nicht folgsam sein willst, so übergebe ich dich ganz gewiß einmal dem Klaubauf!" Aber die Drohungen nützten wenig oder gar nichts; das Kind blieb böswillig, halsstarrig und unfolgsam und schlug Mahnungen und Drohungen der Eltern in den Wind. Als nun der Sankt-Nikolaus-Tag herankam, welcher den guten Kindern schöne Geschenke bringt, da stellte sich am Vorabend desselben in der Stube, wo sich das ungeratene Kind mit den Eltern befand, ein furchtbar häßlicher Klaubauf ein, mit langen Hörnern und glühenden Augen. Dieser fragte die Eltern mit hohler Stimme: "Darf ich das schlimme Kind da mitnehmen?"
Die Eltern hatten zwar keinen Klaubauf bestellt, meinten aber, daß ein Nachbar sich den Spaß gemacht habe, das Kind zu erschrecken und auf bessere Bahn zu lenken, und sagten: "Ja!"
Der Klaubauf fragte zum zweiten Male: "Darf ich es wohl gewiß mitnehmen?" Und abermals erlaubten es die Eltern. Nun fragte der Klaubauf zum dritten Male: "Und darf ich es im vollen Ernst mitnehmen?" Und die Gefragten bejahten es zum dritten Male. Der Klaubauf nahm es nun auf und trug es zur Türe hinaus. Draußen hörte man von den Lüften herab einen herzzerreißenden Schrei vom Kinde und weiter nichts mehr. Wie die Eltern sich nun hinausbegaben, um nachzusehen, wohin der Klaubauf mit dem Kinde gegangen sei, fand sich nirgends eine Spur, kein Tritt vor dem Hause, der frischgefallene Schnee überdeckte alles rundherum rein und sauber, und das Kind war für immer verloren; der Klaubauf war kein Maskenscherz, es war der Böse. Die Mutter ist an Gewissensskrupeln siech geworden und bald gestorben.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben
von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 209.