Der Lebenberger
Fast in der Mitte des Marlinger Berges bei Meran erhebt sich die stattlich schöne Burg Lebenberg, von manchen auch Löwenberg genannt und geschrieben. Man erblickt in tiefer Ferne des Passeiertales vom Turm des Lebenberger Schlosses die alte Jaufenburg, und es geht die Sage, daß bei festlichen Gelegenheiten und insonderheit dann, wenn auf des Landesfürsten Wohl getrunken wurde, die Herren von Meran durch Fahnen und nachts durch Feuer Zeichen gegeben haben, die dann auf Lebenberg und auf der Jaufenburg wiederholt worden seien. Mag wohl ein schönes Leben auf Lebenberg gewesen sein, doch auch nicht immer. Ein Burgpfaffe erfuhr das. Es saß ein Junker droben, der lebte schier etwas zuviel, und alle Ermahnungen des besagten Burgkaplans, sein wildes und böses Leben zu ändern, fruchteten nichts bei dem Junker, und zuletzt wurde dieser über die stets wiederholten Büß- und Strafpredigten so ärgerlich, daß er ohne weiteres den Kaplan binden und auf einem Pferde hinauf auf das Vigiljoch bringen und daselbst in einem kleinen See ertränken ließ. Seitdem ist es dort ringsum sehr unheimlich, bei nahenden Gewittern hört man im See ein dumpfes Rollen, dann taucht ein gespensterhaftes, hundähnliches Tier auf, läßt aber nie einen Menschen in die Nähe kommen. Später ritt einmal besagter Junker am Karfreitag, statt die Kirche zu besuchen, auf die Jagd am Vigiljoch, und wie er jagend an diesem See vorbeikam, stürmte das Pferd in die Fluten, und der Junker war versunken. Seitdem aber stürmt er als wilder Jäger bergauf und -ab am Vigiljoch, und der gespenstige Hund, meinen die Leute, sei auch kein anderer als der böse Junker von Lebenberg.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 262.