Der letzte Boyneburger

Die Gegenden von Missian und St. Pauls und Eppan sind übersät von Schloßruinen, so auch Boyneburg, in dessen Hofraum ein tiefes Loch hinabgeht, welchem jedermann aus dem Wege geht. Der letzte Besitzer dieses Zweiges war Reinbrecht von Boyneburg, ein düsterer, wilder Geselle, aber auch ein todesmutiger Kriegsheld, heftig und grausam. Er trag weit herum von den Rittern und Edlen das schwerste und größte Schwert, und sein starker Arm hob jeden aus dem Sattel. Als Vasall der mächtigen Eppaner, der Beherrscher vom untern Etschtal, deren Burg nicht weit von jener der Boyneburger stand, war er zugleich deren treuester Freund und Kampfgenosse, aber auch im Raufen und Saufen. Das Freundschaftsband gestaltete sich endlich zu einem brüderlichen Verhältnis, seit der Boyneburger im Kampfe des Eppaners mit dem Grafen von Tirol und dem Bischof von Trient wesentliche Dienste geleistet. Zur Erhaltung der Brüderlichkeit paßten sie in ihrem Charakter vollkommen zusammen: übermütig, leidenschaftlich, unüberwindlich. Daß aber der Boyneburger den Eppaner noch öfters besuchte, galt vielmehr der schönen Tochter des Eppaners, Adelheid, einer frommen Engelsseele. Er suchte ihr zu nahen, aber sobald sie ihn in der Nähe erblickte, erzitterte sie, floh vor ihm und verbarg sich vor dem wilden Ritter. Doch er wußte sich das Jawort vom Eppaner, ihrem Vater, zu verschaffen, und wenn dieser auf etwas bestand, so mußte es geschehen. Daher ward trotz Weinen und Bitten der Tochter nach drei Tagen die Trauung bestimmt. Wohl wurde die Katharinenkapelle reich und herrlich verziert und die Trauung in Gegenwart zahlreicher Gäste vollzogen. Demütig ergeben und folgsam dem barschen Wesen ihres Gemahls kam sie ihm liebreich entgegen - nur manche Tränen sprachen es aus, daß sie nicht glücklich sei. So war es auch wirklich. Unglücklich lebte sie fast ein Jahr, als Adelheid an einem schönen Frühlingsabend dicht verschleiert ins nahe Kastanienwäldchen wanderte, vor einem Christuskreuze weinend niederkniete, um Sinnesänderung für ihren Mann bat und es dann demütig küßte. Aber da sprang plötzlich der Ritter hervor, erfaßte sie bei den Haaren, schrie: "Ich dulde keinen ändern neben mir, auch nicht den Erlöser." Siehe, Adelheid ertrug die Mißhandlungen mit Geduld, ein Stoß des Wilden aber genügte, daß sie zu Boden stürzte und - die Dulderin war tot, eine geknickte Lilie lag im Waldesdunkel. Ritter Boyneburg war wie vom Donner gerührt, er stand lange vor der Leiche, er stand noch bewegungslos, als vom nahen Katharinenkirchlein die neunte Abendstunde verkündet wurde, und blieb stehen, als man sein Opfer von dannen trug. Die Unglückliche ward in die Gruft gelegt, ihr Vater, der Eppaner, schleuderte einen furchtbaren Fluch auf seinen Freund und Eidam und verschloß sich für immer. Dieser aber zog wahnsinnig und rasend in den Bergschluchten herum, ließ sich Haare und Bart bis über den halben Leib wachsen und konnte keinen Trost und keine Heilung finden. Einst sah man den wahnsinnigen Ritter auf jenem Felsen sitzen, wo man nach der Katharinenkapelle hinüberschauen konnte und wo er zeitweilig zu sitzen pflegte.

Und jedermann, der ihn sah, entsetzte sich ob der wilden bärtigen Gestalt und ging ihm aus dem Wege; nachdem er aber am zweiten, dritten und vierten Tag auch noch unbeweglich am Felsen saß, wurde es klar, daß er, wie es auch war, tot sei. Das Scheusal wurde hinabgeworfen in jenes finstere Loch im Burghofe, damit es dem giftigen Gewürm zur Speise werde.

Das Gottesgericht aber fiel schwer auf den Frevler. Ruhelos wandert sein Geist in den Finsternissen, um Mitternacht entsteigt der Boyneburger seiner verfluchten Höhle, in ein Leichentuch gehüllt, und schreitet zur Katharinenkapelle, steigt in die Gruft seiner Gattin und heult und seufzt, daß es ein Jammer ist. So sei es einst gewesen, ob es jetzt noch sei, kann niemand sagen, denn die Umwohner vermeiden es, bei Nachtzeit in dieser Ruine zu verweilen, und fürchten das Begegnen des spukenden, letzten Boyneburgers.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 383.