Geisterspuk im Mairtal
Auf dem Mittelgebirge südwestlich oberhalb Innsbruck liegt unweit
der Schönberger Straße, am Wege zwischen Mutters und Götzens,
ein Tal, das Mairtal geheißen, in welchem es bedeutend spukt. Bald
diese, bald jene Gestalt ist Wanderern schon in diesem Tale begegnet,
auch soll im Mairtale ein ungeratener Sohn seine Mutter erschlagen haben,
nachdem er vorerst mit Lug und Betrug, mit Diebstahl und Schlechtigkeiten
mancherlei Art den Vater ins Grab gekränkt hatte und zur Strafe zu
einem Brüllgeist und Steinwerfer geworden sein. Aber auch das arme
Weibl, die ermordete Mutter, spukt dort, und manche wollen sie gesehen
haben. Am schlechtesten erging es im Mairtale einem Schmied aus Mutters.
Es ist nicht lange her, daß der "Schneider Bartl", ein
altes, wohlerfahrenes Mandl, folgendes selbst erlebte Abenteuer in einer
Gesellschaft zu Mutters erzählte. Er habe nämlich sehr oft ein
klägliches Geschrei von einem Weibsbilde im Mairtale vernommen, und
bald darauf eine rauhe, wilde Mannsstimme, leibhaftig die des Mörders
und seines himmelschreienden Opfers. Darauf sei bald alles still geworden.
Ein anderesmal habe er das Weiblein - die Bäuerin, des ungeratenen
Sohnes Mutter - vor sich gesehen, sie habe die Arme ausgespannt gehabt,
sei ohne Kopf gewesen und habe ihm den Weg versperrt, daher habe er sogleich
"umkehrt euch" gemacht und sei zurückgegangen. Sie habe
ihn vor einem Unglücke abgehalten, meinte der Schneider Bartl. Andere,
welche bei der Gesellschaft zu Mutters dazumal anwesend waren, wußten
auch von manchem Spuk zu reden, nur ein junger, starker Mann, er war ein
Schmied, der lachte dazu und sagte: "Ich glaub mein Lebtag nicht
an solche Narrheiten, das ist alles abergläubisches Gewäsche,
ihr seid läpperte Leut', und ich will es euch beweisen, daß
ich durchs Mairtal zu jeder Stund' in der Nacht gehe, ohne daß mir
etwas zustoßen wird." Es wurde also bestimmt, daß er
gegen zwölf Uhr in der Nacht die Probe bestehe, und er brach auch
um die Geisterstunde nach dem Mairtale auf, durch das ihn ohnehin sein
Weg führte, denn er war drüben von Götzens, und der gewöhnliche
Weg zog ganz nahe an dem verrufenen Tale vorbei. Der junge Schmied war
em kräftiger Bursche, voller Mut und ohne alle Furcht. Aber er kam
an diesem Abende doch nicht zu gewohnter Zeit nach Hause, sondern erst
zwei Stunden nach Mitternacht klopfte er an die Tür und stand draußen
zitternd und zähneklappernd, ohne Hut, ohne Mantel, ganz beschmutzt
und verrissen, wie ein Trunkener, der im Weggraben ein Schlammbad genommen.
Er erzählte seinen Hausleuten, wie er, im Mairtale angekommen, keinen
Pfad mehr fand und von unsichtbarer, riesenstarker Hand über einen
Hügel hinabgeschleudert wurde, daß er die Gigl (Füße)
aufreckte. Und nachdem er unten über und durch Gesträuch und
Dorngestrüppe gepurzelt wäre und merkte, daß Hut und Mantel
zurück geblieben, sei er wieder emporgekrefelt (auf allen vieren
hinaufgekrochen), allein er wurde auf dieselbe Weise abermals hinabgeschleudert.
Da er Hut und Mantel um keinen Preis zurücklassen wollte und sein
Mut auch nicht gesunken war, krefelte er abermals hinauf, und so ging
es fünfmal, wie beim ersten Male. Endlich aber fühlte er sich
matt und weh und sah ein, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe,
auch überkam ihn endlich Furcht, er ging ohne Hut und Mantel auf
Umwegen nach Hause und blieb fest dabei, daß der Mörderteufel
als Höllenteufel dort umgehe.