Das prophetische Mandl
Im Naviser Tale, vom Volke irrig Laviser Tal genannt, welches zwischen Matrei und Steinach zur Poststraße herausmündet, erschien bei den Bauern von Navis jährlich, wenn die Zeit zur Aussaat des Getreides gekommen war, ein Wilder Mann, und sobald er sich zeigte, bestellten die Bauern ihr Feld und säten den Samen aus, denn sie konnten guter Ernte versichert sein. Einmal aber warteten die Bauern mit Sehnsucht auf das Erscheinen des Wilden Mandls, denn es grünte und blühte schon lange ringsum in Wald und Feld, die Anbauzeit war fast schon vorüber, daher warteten sie nicht mehr länger und säten die Getreidekörner in die Äcker; aber siehe da, wie sie in der besten Arbeit waren, erschien der Wilde mit zornsprühenden Augen und schrie mit verzogenem Gesichte:
Hättet's mi viel g'fragt,
Hält'i enk viel g'sagt.
Nach diesen Worten lief der Wilde Mann auf und davon und ward nie mehr gesehen; die Ernte mißlang, wurde vom Hagel erschlagen, und die Mißjahre blieben überhaupt seit dieser Zeit nie aus.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 303.