Der wunderbare Mesner
In einer finstern und stürmischen Mitternacht wurde der Kurat zu
Navis wachgeschellt, und als er sein Lager verlassen hatte und zum Fenster
hinaussah, erblickte er seinen Mesner mit einer Laterne, welcher meldete,
auf einem Hofe über dem Dorfe liege ein todkranker Mann und begehre
die Sterbesakramente. Der Kurat gebot dem Mesner einstweilen die Kirche
zu öffnen und folgte ihm auf dem Fuße, um das Sanctissimum
zu holen. Dann wandelten beide, der Mesner mit der Laterne und der Klingel
voran, der Kurat mit dem Allerheiligsten folgend, durch den Ort, und feierlich
klangen die Töne des Glöckleins, und wer noch wach war und sie
vernahm, der wußte, was sie zu bedeuten hatten, bekreuzigte sich
oder fiel auf seine Knie und betete ein Vaterunser und ein Ave Maria für
die Seele des Sterbenden. Wie der Kurat mit dem Mesner den Hof erreichte,
lag alles in finsterer Nacht begraben. Man mußte klopfen und pochen,
ehe nur die Bewohner aus ihrem Schlafe taumelten und das Haus öffneten,
wo sie nun mit großer Verwunderung den Herrn Kuraten sahen und den
Mesner, die niemand herbeigerufen hatte. Die Bäuerin, die über
den nächtlichen Besuch ganz erschrocken war, beteuerte, hier müsse
ein Irrtum obwalten, in ihrem Hause liege niemand krank. Befremdet wandte
sich der Seelsorger mit fragendem Blick an seinen Mesner, der die Laterne
und das Glöcklein auf die Bank gestellt hatte, aber vergebens sah
er sich nach ihm um, er war verschwunden. Da gebot der Kurat der Bäuerin,
in ihrem Hause nachzusehen, ob niemand krank darinnen liege; diese gehorchte,
und bald kam sie erschrocken zurück und meldete, einer ihrer Knechte,
der sich ganz gesund niedergelegt habe, liege in der Kammer und wimmere
und stöhne und schreie und scheine mit dem Tode zu ringen. Alsbald
begab sich der Kurat zu dem Kranken, der sehnlichst nach den Sterbesakramenten
verlangte, und reichte sie ihm, fragte ihn aber auch, wie er denn gelebt
habe, und der Knecht sagte, er habe jeden Tag zur heiligen Barbara ein
Gebet verrichtet. Am Morgen verschied der Kranke sanft und selig. Gedankenvoll
schritt der Seelsorger von hinnen; noch immer war ihm das Verschwinden
des Mesners ein Rätsel. Er ließ denselben rufen, allein der
Mesner von Navis wußte von gar nichts. Niemand hatte ihn geweckt,
er hatte den Herrn Kuraten nicht geweckt, er hatte die Kirche nicht erschlossen,
er hatte dem Geistlichen nicht geleuchtet, war auch nicht mit ihm zum
Berghof gegangen. Die heilige Barbara hatte ob des Betens des frommen
Knechtes solch' Wunder an diesem getan.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 302.