Mord aus Eifersucht
Ein tapferer und edler Ritter war einst Eigentümer der Burg Sprechenstein
und lebte mit seiner Gemahlin höchst glücklich. Da wollte es
das Unglück, daß ein benachbarter Ritter, der auf Burg Reifenstein
saß, zur schönen und treuen Sprechensteinerin in Minne entbrannte.
Indes blieb jede Kunst, die der Reifensteiner anwandte, die Frau des Sprechensteiners
ihrem Gemahle treulos zu machen, völlig erfolglos. Dies entflammte
ihn zur glühenden Rache. Einst lustwandelten der Sprechensteiner
und seine Gemahlin unter der Burg ihres heimlichen Feindes, da schwirrte
von der Zinne des Reifenstein ein Pfeil durch die Lüfte und traf
den Ritter von Sprechenstein auf den Tod. Die treue Frau schrie Mord über
Mord und verfluchte den Mörder ihres Gatten. Und darauf ist der Reifensteiner
lebend nie mehr gesehen worden, aber sein Geist umirrt noch die Stätte,
wo der Sprechensteiner fiel. Manche sagen, man habe des Reifensteiners
Leichnam an jener Stätte an einer alten Eiche hängend gefunden
und am Stamm einen Dolch und ein rotes Kreuz, das Zeichen der heiligen
Feme. Andere erzählen, der Ritter von Reifenstein habe gleichzeitig
mit dem von Sprechenstein das engelschöne Fräulein Adelheid
von Trautson geliebt, und nachdem dieses dem Sprechensteiner zuteil geworden,
habe jener den Nebenbuhler noch am Hochzeitstage erschossen, und zwar
so, daß beide Ritter miteinander verabredeten, einen Zweikampf auf
Armbrustschuß zu halten. Beide hätten zu gleicher Zeit von
ihren Burgen aufeinander geschossen, und jeder Pfeil habe den Gegner getötet.
Die Burg ist hernach Eigentum der Familie von Trautson geworden und von
diesen an die Fürsten von Auersberg gelangt, welche sie noch besitzen.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 313.