Eine Schimmelreiterin
Im Damenstifte zu Hall lebte vor vielen Jahren eine Äbtissin, welche
gegen Arme äußerst karg und hartherzig war, und ihr Geiz erstreckte
sich auch auf die Stiftsalpe im Volderer Tale, welche noch heutigen Tages
so heißt, wenngleich das Damenstift längst schon aufgehoben
ist. Besagte Äbtissin hatte den Sennen und Sennerinnen schärfstens
untersagt, einem Bettler oder einer Bettlerin auch nur das Mindeste zu
verabreichen, weder Milch noch Butter, noch Käse; ehe sie diesem
Bettelvolk etwas gäben, sollten es lieber die Schweine haben. Diese
geizige Äbtissin starb und ließ sich dann bald nach ihrem Abschied
aus dieser Zeitlichkeit auf der Stiftsalpe m einem weißen Gewande
und auf einem Schimmel reitend sehen, und sooft diese Schimmelreiterin
erblickt wurde, so oft starb eine Stiftsdame, oder es widerfuhr dem Stifte
sonst ein Unheil. Zur Zeit, als das Damenstift zu Hall aufgehoben werden
sollte, zeigte sich die gespenstige Reiterin auf ihrem Schimmel in jeder
Nacht, oft sogar am hellen Tage. Nach der Aufhebung wurde sie nicht mehr
erblickt.
Ehemaliges Damenstift und Stiftskirche
Hall, Aussenansicht
Barockisierter Renaissancebau
©Berit
Mrugalska, 28. April 2004
Ehem. Stiftskirche, Herz-Jesu-Basilika
Hall, Innenansicht
Chorgewölbe von 10eckiger Laterne (1691/92) bekrönt, der gesamte
Kirchenraum
mit reichen Stukkaturen versehen (1629/30).Vgl. Dehio-Handbuch, Tirol,
1980, S. 311
©Berit
Mrugalska, 28. April 2004
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 103