Das Schloßfräulein auf Stein am Ritten
An der Poststraße von Kollmann nach Bozen, zu Steg, wo ein gedeckter
Steg über den Eisack links nach Völs führt, steht rechts
in der Höhe auf einem Porphyrhügel einsam und öde die Ruine
Stein, wo der Pfad nach dem Ritten, einem berühmten Sommerfrischorte
der reichen Bozener, vorbeiführt. Stein am Ritten war einst ein Raubnest
in der alten Fehdezeit, wo das Recht nach Gewalt gemessen wurde, und erhielt
später verschiedene Besitzer. Von diesen leuchten 2 Geschichtsnamen
hervor. Engelmar von Villanders, der die Burg im Jahre 1346 im Besitz
hatte, und später war der reiche Nikolaus von Winkler dessen Pfandinhaber.
Große Unglücksfälle stürmten über diese Burg
her. Beide fanden tragischen Untergang. Der erste leiblich, der andere
häuslich, trotzdem sie die größten und berühmtesten
Männer ihres Landes und ihrer Zeit waren. Beide aber gingen nicht
zugrunde wegen ihrer Schuld, sondern wegen ihrer Macht, die man anstößig
oder gefährlich befunden hatte. Nachmittags 3 Uhr steigt ein wunderschönes
Burgfräulein aus dem unterirdischen Gewölbe der Burg, setzt
sich auf die grauen, zerbröckelten Gesteine und weint so bitterlich,
daß die Trümmer ganz naß werden. Weder Bann noch Gebet
vermochte jemals das weinende Fräulein zu erlösen, auch weiß
niemand Näheres, wer es sei, man hält es für einen Schloßgeist,
wie deren auch anderswo vorkommen. Andere halten es für Engelmars
liebende Hausfrau, die ihres Gatten und ihres Bruders Griffe Tod beweint,
welche Konrad von Teck, als er ihre Feste eroberte, köpfen ließ.
Leute aus Völs, welche jenseits niederstiegen und hinüberblickten
auf die Ruine Stein, wo diese sich sehr häufig dem Auge zeigt, wollen
das Fräulein in stillen Mondnächten sitzen gesehen haben und
spendeten ihr zum Trost ein frommes Gebet, aber immer vergebens.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 355.