Der Schneider im Alberkasten
Im Oberinntal und namentlich in der Gegend von Stanz bei Landeck ist die Sage vom Alber, welcher eine Ausgeburt des Aberglaubens ist und anderwärts "feuriger Drache" heißt, noch ziemlich allgemein. Der böse Feind, denn der und kein anderer ist der Alber, fährt nachts durch die Lüfte daher, bald in Gestalt eines brennenden Besens, bald als eine über und über glühende Schöpfkelle, bald als eine feurige Truhe oder in runden, kugelähnlichen Formen. Wo der Alber aufsitzt, was er bisweilen tut, da verbrennt alles Gras, verdorrt jeder Baum, jedes Erdreich wird zu Stein, denn der Teufel ist von Anbeginn wider Gottes Natur.
Eines Abends ging ein Schneiderlein aus Grins, das in Stanz gewesen war und sich etwas lange daselbst verweilt hatte, wieder heimwärts. Es war fast dunkel, und der Bach im Kötertobel brauste und rauschte gar wild und ungestüm. Gleichwohl gruselte dem Schneiderlein nicht, denn es war gar keck und beherzt und mochte wohl abstammen von dem Schneiderhelden, der, wie das Märlein lautet, sieben auf einen Streich gefällt. Als aber der gute Schneider auf der Brücke stand, die kühn über den wilden Fernerbachtobel gespannt ist, und sich von ungefähr umsah, da erschrak er doch, denn hinter ihm her von Stanz herauf fuhr ein brennendes Ding pfeilschnell durch die Luft, das dem Alber so ähnlich sah wie ein Ei dem ändern. Es war ein flammender Besen, aber so groß, daß, wenn ihn einer hätte handhaben können, gleich ein ganzes Dorf damit wegzukehren gewesen wäre. Der Schneider duckte sich, schlug drei Kreuze und sprach einen Segen - und glücklich fuhr knisternd und knatternd der Besen über ihn weg, aufwärts nach Grins zu.
"Hoi! Hoi!" rief der Schneider, als das böse Ding vorüber war, mit beherztem Gelächter: "Du hoascht's gneadig! Wenn d' nur nuit vagössa hoascht!"
Kaum waren diese Worte gerufen und die Brücke war überschritten, so schoß vom Schrofenstein herüber wieder ein Alber mit gleicher Schnelligkeit und fuhr überhin; der loderte lichterloh und sah aus wie eine ungeheure Kelle mit langem Stiel und rundem Schöpfer. Der Schneider duckte sich abermals, schwieg aber diesmal mäuschenstill. In der Luft posaunte eine Höllenmusik, und wie die feurige Kelle vorbeifuhr, da sah sie aus wie ein großer Kasten - und da stach den Schneider dennoch der Hafer, und er schrie hinauf: "Tumml di, daß d' aucha kimmscht! Dein Kamerod ischt schua voaraus!"
"Tumml di o!" zeterte plötzlich eine Stimme aus der glühenden Truhe, die bis hinauf ans Brandjöchle und bis hinunter ins Sannatal hillerte. Und mit einem Male fuhr es dem Schneider in die Beine wie ein Blitz, daß er laufen mußte, laufen, laufen, bis er endlich an ein Waldkreuz kam, an das er sich anklammerte und fast atemlos zusammenbrach.
Zitternd und bebend am ganzen Leibe ging endlich der Schneider, als er
sich ein wenig erholt hatte, weiter und sehnte sich sehr nach Grins, hatte
aber noch ein gut Stück Weges, denn Grins liegt von Stanz dreiviertel
Stunden ferne, und der Weg ist bergan beschwerlich. Und an diesem Wege
stand jetzt etwas, und dieses Etwas war ein Putz. Selbiger Putz vertrat
dem Schneider jeden Tritt und Schritt und ließ ihn nicht vorüber.
Da aber erwachte im tapfern Schneider die angeborene Courage, er wurde
ganz gallig und fluchte: "Oz höllisch'r Teufl, doa wollt' i
decht liaba im Oalb'rkoaschta mit aucha foahra, aß daß mi
so a Karli von am stiergrindat'n Putz fer 'n Narra hoatt!" Kaum war
das letzte Wort gesprochen, so war der Putz weg, und der Alberkasten war
da, stand auf dem Wege und glühte, und die Tür sprang auf, und
ein Teufel kam heraus, der erwischte den Schneider, tat ihn in den Kasten,
kroch nach und schnappte das Türl zu. Gleich hob sich der Kasten
wieder und fuhr dahin, aber nicht nach Grins, sondern weiter, über
Grins weg, hoch, hoch hinauf zur Grinser Spitz, wo der eiskalte Ferner
liegt, zwischen dem Kaiserjoch und dem Passeier Spitz. O du arme Schneiderseele!
Diese Sage erzählen die Stanzer gar gerne den Schneidern, um sie
zu giften und in den Harnisch zu bringen, was ihnen auch jedesmal zu gelingen
pflegt.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 192.