Der Teufelsstein im Naiftale
Unweit Meran, in der Richtung nach Passeier zu, durchrauscht die Naif
ein nach ihr genanntes Tal. Dort steht oder stand Schloß Gayen,
allwo es von Herren und Gesinde nicht immer so zuging, wie der Katechismus
uns vorschreibt. Eine Magd diente im Schloß, deren Sinn einzig auf
Üppigkeit und Frevel gerichtet war. Nie hob sie einen vom Tische
der Herrschaft gefallenen oder übriggebliebenen Brotbrocken auf,
um ihn, und wäre es nur für das Vieh gewesen, nützlich
zu verwenden, sondern ließ ihn liegen und warf ihn auf den Erdboden,
kehrte ihn mit Stroh und Unrat auf den Mist oder warf ihn in den Spüleimer
und schüttete ihn fort. Sie wußte aber nicht, daß es
für solche Freveltat an der lieben Gottesgabe, am Brot, einen schlimmen
Klaubauf gibt, nämlich den Teufel. Dieser war immer unsichtbar in
der Nähe der Dirne und legte eine Sammlung von dem Brot an, das sie
schändete. Der Teufel sammelte alle Brotkrümlein und Brocken
in einen großen Sack, bis dieser schwer genug war, und als die Grenzlinie
des Frevels überschritten war, so erhielt der Teufel die Macht, sich
die Frevlerin zu holen, wie sie ging und stand. Solches tat er denn auch
"ohne Gefährt", wie es in den alten Urkunden lautet, fuhr
zum Schlosse Gayen hinauf, holte das verlorene Mensch samt ihren Sünden
und Krimpelsack, fand aber die Last so schwer, daß er sich genötigt
sah, schon drunten an der nahen Talwiese zu rasten, zu welchem Ende er
sich auf einen Felsen setzte. Und da hat sich zu jedermanns Verwunderung
die Spur des Teufelsschweifes so deutlich in das Gestein eingeprägt,
daß man selbige noch heute sehen kann und deshalb jenen Fels den
"Teufelsstein" genannt hat.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 266.