Venedigermandl und Bergmandl
Im Debanttale unterm Aigerköfele liegt ein großer Goldschatz, den bewacht ein Bergmandl sehr eifrig, und es geht ihm wie manchen ändern Schatzhütern im Pustertale, die glauben nämlich, verhungern zu müssen. Einmal kam ein Venedigermandl in das Tal, fand einen Hirten und sagte zu diesem, er möchte ihn hinbegleiten zum Aigerköfele, er wolle ihm für den Weg 6 Taler geben oder, wenn er lieber wolle, auch die Hälfte des Goldes, das er dort gewinnen werde. Der Hirt dachte: Du wirst da hinten was recht's gewinnen, nicht eine Laus ist da hinten zu fischen, und 6 Taler sind ja für den kurzen Weg ein riesiges Geld; und er wählte daher die runde Summe, das Gewisse für das Ungewisse. An Ort und Stelle angelangt, trat der Venediger unter eine Felswand und begann laut aus einem Büchlein zu lesen. Da erschien bald ganz droben über der Wand ein Bergmandl und fragte finster: "Was gibt es denn?" "Nichts gibt es für dich", rief der Venediger, "aber 30 000 Gulden Gold für mich; die bringst mir gleich." Da wurde das Bergmandl sehr böse, schüttelte seinen Kopf, schoß fort und brachte gleich darauf 10 000 Gulden in lauter Rollen, worauf es schleunigst in den Berg zurück entwich. "Dös langt nit, Mandl!" rief der Venediger, schlug sein Büchel von neuem auf, und las wieder. Der Hirt verstand aber kein Wort davon, mochte wohl welsch oder lateinisch oder gar hebräisch sein. Wieder kam das Bergmandl ganz grantig und wild und fragte: was es denn noch immer gebe. Das Venedigermandl antwortete: "Dös langt halt nit, bringst noch mal soviel." Da eilte das Bergmandl in den Berg zurück, kam wieder heraus und brachte abermals 10000 Gulden in Gold hin und schwand von dannen.
Das Venedigermandl aber guckte gar nicht nach dem Golde, sondern las
weiter, immer weiter, bis das Bergmandl wieder aus dem Felsen kam, diesmal
aber gar nicht fragte, was es gibt, sondern gleich gab, nämlich noch
einmal ein Sackl mit 10 000 Goldstücken, aber äußerst
wild, drohend und aufgebracht. Nun lud der Venediger das viele Gold in
ein Faßl auf einen Schubkarren, gab dem ganz verdutzten Hirten 6
Taler und sagte zu ihm: "Du Tropf, hast mich noch mehr als dich verkürzt,
hättest du statt dieses Lumpengeldes eingewilligt, die Hälfte
dessen zu empfangen, was ich selbst empfing, so mußte das Bergmandl
sechzigtausend Gulden blechen, und du hättest den nächsten Ritter
fragen können, was sein Schloß und sein Gut wert sei."
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben
von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 348.