Wasser versenken
Am Unterberge bei Meran steht an einer wüsten Lehmmure der Winklerhof.
Vorzeiten war dort ein herrlicher, fruchtbarer Weinberg, in dem eine starke
Quelle sprang, welche die weite Gegend umher tränkte. Viele Leute
labten sich an ihr, viele holten auch das Wasser zur Tränkung ihres
Viehs oder nahegelegener Gärten oder zum Garnbleichen, weil es das
beste und reinste Wasser weitherum war. Das ärgerte endlich den Winklerhofbauer;
er wurde voll giftigen Neides, hätte gar zu gern das Wasser für
sich allein genützt, wußt' es doch nicht zu stopfen und konnte
auch nicht den herkömmlichen Mitgebrauch den Nachbarn verbieten.
Nun lebte zu Sankt Peter bei Meran ein weitberufener Doktor und Tausendkünstler,
Wahrsager und Hexenmeister, das war der alte Schneeweiß, der viele
heimliche Sachen wußte, sich auf die Sympathie und Antipathie verstand
und an Menschen und Vieh trotz dem Doktor Eisenbart kurierte. Zu diesem
kam der Winklerhofbauer und sagte ihm, er habe ein wildes Wasser auf seinem
Gute, das verderbe ihm alles, sei zum Trinken für Menschen und Vieh
nichts nutz, quelle immer stärker hervor, je mehr er verstopfe, und
schwemme ihm alles gute Erdreich fort. Ob der Schneeweiß gegen solches
Wasser kein Mittel wisse? Darauf riet der alte Schneeweiß dem Bauern,
Quecksilber in den Quellbrunnen zu werfen. Gleiches müsse mit Gleichem
vertrieben werden, Lebendiges mit Lebendigem, Totes mit Totem. Der Winklerhofbauer
befolgte den Rat und warf das metallische Gift in seinen schönen
herrlichen Quellbrunnen; da wühlte und senkte sich das Quecksilber,
gemäß seiner Schwere, nach unten, bahnte sich Wege in die tiefste
Tiefe, und das Wasser drang hintendrein, und der Brunnen versiegte, der
Boden vertrocknete, das Erdreich wurde mürbe, und wie der erste starke
Regenguß kam, empfahlen sich die Weinstöcke und rutschten abwärts
samt der Erdkrume, in der sie wurzelten, auf des Nachbars Land, und eine
Lehmmure entstand, die jedes Jahr treulichst dem Winklerhof einen Besuch
abstattete. Die Nachbarn aber wünschten dem Winklerhofbauer beide
Feinen auf den Hals und in die Glieder, die kalte und die heiße,
und als derselbe nun verzweifelt dem alten Schneeweiß sein Herzleid
klagte und ihm Vorwürfe machte, sprach dieser: "Winklerhofer,
dir ist recht geschehen, weil du mich belegen, und mir gesagt hast, daß
ein wildes, schädliches Wasser dir dein Eigentum verwüste. Hättest
du mir gesagt, daß du deinen guten Brunnen, die schöne, reine
Gottesgabe, verderben wolltest, so hätte ich dir nimmermehr zu Quecksilber
geraten, sondern dich alsbald zum Hause hinausgeworfen, wie ich jetzt
tue." Sprach's, packte mit Riesenstärke den Winklerhofer und
warf ihn - ohne daß jener zu widerstreben vermochte, denn der alte
Schneeweiß machte ihn gleich "g'froren" - zum Hause hinaus,
daß ihm alle Rippen krachten. Dem Winklerhofer ist wohl recht geschehen,
aber das edle Wasser blieb leider bis auf heute versunken.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 261.