Das Weihnachtsgeläute
Im Brandenberger Tale arbeiteten mehrere Leute eifrig an den Eis- und Kälterinsen, eine gar harte und beschwerliche Mühe. Eisrinsen sind gewöhnliche Holzrinsen, Rinnen von Baumstämmen, welche man tüchtig einschneien läßt, und wenn es recht kalt gefriert - die Holzleute sagen "wenn Gria eintritt" -, dann läßt man die Hölzer nacheinander hinabfahren; daher eilt man und schafft fleißig Tag und Nacht fort, weil Tauwetter, vor dem man nie ganz sicher ist, diese mühevolle Arbeit ins Stocken bringen würde. Wenn man Wasser in der Nähe hat, so begießt man auch zeitweilig die Holzrinne, wodurch die Glätte um vieles vermehrt wird.
Einst hatten die bei solchen Eisrinsen beschäftigten Arbeiter zuhinterst
in den Brandenberger Urwäldern so beschwerliche und lange Arbeit,
daß sie es kaum mehr auszuhalten vermochten und sich viele nur durch
Tabakrauchen und Tabakschnupfen wach erhalten konnten, ja sogar auf die
Tage und selbst auf die Weihnachtsfeiertage vergaßen. Als die Stunde
der heiligen Christnachtmette kam, hörten die Arbeiter ein wunderbares
Glockengeläute und noch dazu das volle liebe Geläute von ihrer
Pfarrkirche von Brandenberg, obgleich sie gute sieben Stunden davon entfernt
im beschneiten Wald waren. Die Holzleute stutzten und staunten, denn sie
konnten sich das Wunder nicht erklären, und als die bekannten Glockentöne
stets lieblicher und heller klangen, sagte einer: "Weiß Gott
ist heunt g'wiß schon die Heilige Nacht und 's Christkindl nahet
uns." Das leuchtete allen ein, sie eilten daher alsbald heimwärts
dem Dorfe Brandenberg zu, wo sie um 8 Uhr morgens am Christtag ankamen
und dem feierlichen Gottesdienst beiwohnen konnten, der, wie bekannt,
um diese Stunde, acht Uhr, beginnt. Dieses geschah, als der große
Wald zu "Baierach" an der bayerischen Grenze abgestockt wurde,
der gegenwärtig wieder neu und groß aufgewachsen ist und die
rauhe Felsennatur ziert, in welcher diese fromme Sage von Mund zu Mund
überliefert wird.