Die Wetterprophetin
Auf jener Höhe, wo die Wallfahrtskirche zu St. Katharina von der Schart liegt, unweit Meran, welches man von ihr aus erblickt, stand ein Bauernhof, in welchem ein schönes Mädchen lebte, in das sich ein Herr aus der Stadt sterblich verliebt hatte.
Es hielt nicht schwer, die Gegenliebe des einfachen Naturkindes sich
zu gewinnen, und so unterhielten die beiden geraume Zeit ein stilles Liebesverhältnis.
Der Liebhaber stieg oft zu ihr auf den hohen Berg; aber Standesrücksichten
lösten mit der Zeit dieses Band, und das getäuschte Mädchen
starb bald darauf im trostlosen Kummer, ohne im frommen Ergehen und göttlichen
Tröste aus der Welt zu scheiden. Jetzt sitzt die Arme geisterhaft
am Felsenhang, den Kopf in die Hände gestützt, wehmütig
in das Tal hinabblickend. Wenn sie aufsteht, spielt der Wind mit ihrem
Kleide, sie schaut nochmals zurück und schreitet dann über die
Bergpfade hinweg und hinauf, wie lichtes Gewölk den Iffinger bedeckend
und Wetter verkündend. Der Iffinger ist ein Granitberg über
8000 Fuß hoch. An seinem Fuße bei einer einsamen Kirche erblickt
man an einem Felsblock den tiefen Eindruck einer Menschenhand. Dies rührt
von der Hand des Meraners her, der jenem Mädchen treulos ward. Er
war hinauf in das Gebirge gestiegen, hatte den Schatten der ehemals Geliebten
erblickt, und der Böse hatte ihn erfaßt. Vergebens wollte er
sich am Felsblock halten, der Böse riß ihn mit Hohngelächter
von dannen, und in den Felsblock druckte sich zum warnenden Zeichen gegen
Untreue die Spur seiner Hand ein.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 269.