Von zwei Riesen im Vintschgau.
Der Riese Heime war es nicht allein unter seinem Geschlechte, der Hand an de Bau eines frommen Werkes legte, um den zürnenden Himmel für frühere schwere Thaten zu versöhnen. Zwei Riesen, die im Vintschgau hausten, thaten dasselbe, nur führten sie es nicht so herrlich hinaus. Der eine führte ein Kirchlein ob Naturns auf, welcher Ort im Etschthale ohnweit Meran liegt, und man nennt jetzt dieses Kirchlein Procoles, das will sagen: St. Proculus, welcher ein Christ gewordener römischer Soldat war, der einen vom Kaiser Diocletian nach Bologna zur Verfolgung der Christen entsendeten Präfecten niedershug, und ob dieser that das Marthyrtum erleiden mußte. Der zweite Vintschgauer Riese führte auf dem Joche zwischen dem Etsch- und Ulten-Thale auch ein Kapellchen auf, das nennen die Leute jetzt Sankt Vilgen und das Joch nennen sie das Vilgen Joch, welche Benennung von dem heiligen Vigilius herrührt, der der erste Bischhof zu Trient war und der erste Verkünder des Christenthumes im Etschthale, dem aber die grimmen Heiden im Jahre Christi 420 die Martyrerkrone bereiteten.
Jene beiden Riesen, welche ihre Arbeit als Werke des Buße vollbrachten, kamen damit sehr schwer zu Stande, denn sie hatten gemeinschaftlich nur jenen einzogen Hammer, und warfen denselben einander zu, über eine Entfernung von drei Stunden, und der Hammer war riesenhaft groß und schwer, daher sie sich oft ohne Willen gegenseitig hart beschädigten. Als das Werk Beider nach der Mühe vieler Jahre beendet war, lebten Beide als büßende Einsiedler. Unterm Dache des Vigili-Kirchleins liegen noch immer große Todtengebeine, die sollen beim Roden des Bodens in des Kirchleins Nähe aufgefunden worden sein, und dem Erbauer des letzteren gehört haben.
Quelle: Mythen und Sagen Tirols. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Zürich 1857, Nr. 18, S. 42.