Goldbrünnlein auf der Razer Alpe
In der Razer Alpe, die nach Reutte gehört, ist eine Quelle, aus der zu einer bestimmten Stunde und Minute pures Gold fließt, und wer diese wüsste, der könnte mit einem Schlag reich werden. Dahin kamen aber auch oftermalen Venedigermännle und holten sich von dem Golde, denn sie kannten genau die Stelle und den rechten Augenblick und brauchten dann nur zu schöpfen. So traf es sich auch einmal, dass von der Alphütte aus zu dieser Zeit zufällig eine Magd zu dem Brünnelein kam, um da Wasser zu holen. Da sah sie an demselben ein kleines Männle mit großem breitkrempigem Hut; das war kaum tischhoch und war emsig beschäftigt, mit einem kleinen Metzlein aus dem Brünnelein zu schöpfen. Die Dirne fürchtete sich vor dem sonderbaren fremden Männle und hatte fast nicht das Herz, näher zu treten; allein da sie ohne Wasser nicht in die Hütte zurückkehren durfte, so wagte sie es zuletzt doch und ging näher hin. Da war das Männle gegen sie gar nicht böse, redete sie freundlich an und fragte sie sogar, ob sie nicht auch von dem Dinge da etwas möchte, das es gerade herausgeschöpft habe. „Ei, ja wohl!" Und da gab ihr das Männle einen Brocken davon. Wie sie nun zur Hütte zurückgekehrt war, fand es sich, dass der Brocken reines, lauteres Gold sei, und nun musste die Magd alles erzählen. Allein das Gold macht gierig und unzufrieden, und so fuhr der Bauer die Dirne wild an und sprach zornig: „O du dummer Teufel! Warum hast du dir nicht mehr davon geben lassen? Gleich gehst du hinaus und holst mehr!" Als aber die Magd wieder zum Brünnelein kam, war das Männle nicht mehr da; das Wässerlein floss wie immer, und nirgend war irgend eine Spur vom Gold mehr vorhanden. (Reutte / Tirol)
Quelle: Karl Reiser, Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus. Aus dem Munde des Volkes ges., Kempten o. J. (um 1894) I Nr. 152 S. 149 f. (aus Ehenbichl).