DER GRETLER VON SCHATTWALD
In Schattwald, westlich von Reutte in Tirol, lebte vor langen Jahren ein Wildschütz, der hieß allgemein der "Gretler" und verstand sich auf alle Teufelskünste. Er konnte sich "verblenden` und in einen "Stock" verwandeln, wenn ihm gerade ein Jäger in den Weg kam.
Einmal hatte er sich wieder verwandelt, da kam der Förster, dem er eben entgehen wollte, auf ihn zu, setzte sich auf den Stock nieder und fing an, sein Brot zu verzehren. Der verzauberte Gretler hatte damals große Angst, der Förster könnte das Messer, mit dem er sein Brot schnitt, in den Stock hineinstoßen; denn es wäre dann in seinen Leib gegangen.
Auch das Bannen verstand er und bannte einmal einen Förster mitten auf einem Waldwege, daß er keinen Schritt mehr vorwärts oder rückwärts machen konnte. Der Gretler aber ging ruhig seines Weges, und als er hernach einem Manne begegnete, bat er ihn, er möge dem Förster, wenn er ihn treffe, sagen, jetzt könne er wieder weitergehen. Der Mann tat es, und sogleich war der Bann aufgehoben, und der Förster konnnte sich frei bewegen. Am liebsten und öftesten aber "stellte" er das Wild, das er dann bequem und ohne Mühe erlegte. Selbst Fische im Wasser bannte er nach Belieben und fing sie.
Einmal, es war zur Kriegzeit, kamen kaiserliche Soldaten, die gegen Bregenz zogen, durch das Tannheimertal und nahmen, wie es ihnen befohlen war, alle kräftigen und gesunden Männer mit, um sie in das Militär einzureihen. Der Gretler aber, dem seine Freiheit lieber war, verwandelte sich in einen alten Mann, sobald er einen Offizier erblickte, und so ließen sie ihn laufen.
Für gewöhnlich hatte er ein Säcklein bei sich, darin war eine Hummel, die nannte er nur den "Jordan", es war aber der Teufel. Zu Hause bewahrte er ihn meistens in der Kammer in einem Büchslein auf.
Einmal faßte er den Vorsatz, sich zu bessern. Deshalb wollte er sich vom Teufel lossagen, trug das Säcklein mit der Hummel zu einem Wasserfall und warf es in die Schlucht hinab. Als er aber nach Hause kam, war der Jordan schon wieder in der Kammer unter dem Tisch.
Seit der Zeit blieb der Gretler sein ganzes Leben lang verstockt und starb auch ohne Reue und geistlichen Trost. Unter seinem Kopfkissen fand man hernach die Schrift, in der er sich dem Teufel verschrieben hatte.
Quelle: Götter- und Heldensagen, Genf 1996,
Seite 610