Die reiche Dirn
In alter Zeit lebte in Brixen im Thale eine Dirn. Von ihrem vielen Geld
wußte ein jeder etwas anderes. Der eine hörte - weiß
Gott wo - daß sie drei Flickreiterl voll mit Geld habe. Der andere
wieder, in ihrem Strohsack seien eine Menge von blanken Goldtalern versteckt.
Und gerade wegen ihres Reichtums hätte sie zwanzigmal Bäuerin
werden können; sie wies aber jeden Freier ab. Dadurch wurde ihr Reichtum
noch sagenhafter und manche hatten sogar erfahren, daß ein großer
Fürst um sie werbe. Der Dirn wurde dies aber auch zu gespensterhaft.
Sie dachte hin und her, was sie mit dem Geld tun sollte, um eine gute
Tat damit zu verrichten; es sollte aber nicht in die Öffentlichkeit
kommen. Denn die Dirn dachte sich: "Wenn ich mein Geld für ewig
aufgehoben habe, dann heirate ich den reichsten Bauern." Wenn die
Not am größten, dann ist Gottes Hilfe am nächsten, sagt
ein Sprichwort. Auch hier war es so. Eines Nachts fiel ihr ein, die Geldreiterln
zum Harlaßanger-Kirchlein hinaufzutragen und dort zu verstecken.
Sie tat es. Als nun eines Tages der reichste Bauernsohn vom ganzen Tale
zu ihr kam und um ihre Hand bat, willigte sie ein. Aber als der junge
Werber nach ihrem Vermögen forschte, sagte sie, sie besitze nur etwas
von dem kärglichen. Da wollte der Bauernsohn die Heirat rückgängig
machen, denn er fand nirgends etwas von dem sagenhaften Gelde - und die
Dirn antwortete, ihr sei es gleich. Von jetzt ab warb niemand mehr um
ihre Hand. Das Geld konnte sie aber nicht für ewig im Harlaßanger-Kirchlein
lassen. Da holte sie das Geld, warf einige Geldstücke in den Opferstock,
als Dank für die Beschützung des Geldes. Die Dirn war froh,
von den Heiratswerbern frei zu sein. Denn das Heiraten war ihr verhaßt.
Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Unterland
1936, Nr. 17, S. 7
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner
näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger
Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler,
Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).