Der Schatz von Engelsberg und das Venedigermandl
Der Eigentümer der Glasfabrik Hörbrunn, Wenzel Friedrich, hörte von den Leuten über den Schatz von Engelsberg erzählen. Sie erzählten, daß ein Raubritter den Schatz zusammentrug, den Teufel als Hüter bestellte, sich dafür dem Höllenfürsten verschreiben mußte. Mehrere Dutzend Kisten sollen im Innern des Engelsberges ruhen.
Der Engelsberg, Hopfgarten im Brixental (Elsbethen)
© Wolfgang
Morscher, 29. Mai 2005
Wenzel Friedrich glaubte dem Leutgerede nicht recht. Er wollte genaueres darüber erfahren und beschloß daher, ein Venedigermandl kommen zu lassen.
An einem Sommertage reiste Wenzel Friedrich in das Pinzgau. Er wollte in den Hohen Tauern ein Venedigermandl suchen. Auf einer Alm übernachtete er. Er dachte nicht daran, daß ihn hier ein Venedigermandl überraschen könnte. Kaum war er eingeschlafen, als ihn eine Stimme weckte.
"Ich bin der, den du suchst." Wenzel Friedrich stand auf und wollte das Venedigermandl einlassen. Doch, er sah und hörte keinen Venediger mehr. Er ging um die Almhütte - nirgends war ein Venediger. Als er die Tür verriegeln wollte, sah er auf dem Boden einen Zettel liegen. Schnell wurde Licht gemacht und der Zettel gelesen. Es stand darauf, daß das Venedigermandl in den nächsten Tagen bei der Ruine Engelsberg eintreffen werde.
"Ja, geht das Venedigermandlsuchen so schnell?" sagte Wenzel Friedrich vor sich hin.
Am nächsten Morgen marschierte er heimwärts. Das Herz schlug ihm froher als sonst. Seine Gedanken träumten vom Schatz der Ruine Engelsberg.
Schon in der ersten Nacht, in der Friedrich wieder daheim war, begab er sich zur Burgruine. Die ganze Nacht blieb er wach, aber es kam kein Venediger. Auch die zweite und dritte Nacht verstrich, ohne daß das Venedigermandl erschienen wäre. Friedrich glaubte nun, er sei mit dem Zettel betrogen worden. Aber er hatte doch die Stimme des Venedigers gehört? Aushalten! hieß es.
Endlich in der siebenten Nacht, kurz vor zehn Uhr, kam der Venediger. Wenzel Friedrich grüßte ihn freundlich und legte sein Anliegen vor.
"Ich möchte gerne den Schatz - die Leute dieser Gegend sagen, daß hier ein Schatz zu finden sei - beheben. Ist es möglich, diesen Schatz zu heben?" fragte Friedrich kurz.
Burgruine Engelsberg, Detailaufnahme eines "Schachtes"
© Wolfgang
Morscher, 29. Mai 2005
Der Venediger schaut ihn groß an und sagte: "Freilich ist hier ein Schatz verborgen. Auch ist es möglich ihn zu heben. Aber ich sage dir, laß' ab davon. Der ganze Schatz ist geraubtes Gut und wie du weißt, bringt geraubtes Gut weder Glück noch Segen. Es sind viele Dutzende Kisten, gefüllt mit Gold und anderen Wertsachen hier verborgen."
Friedrich blickte auf den Boden und meinte: "Es war' doch ewig schade, wenn so viel Gold verfaulen müßt'."
"Ich mein dir's gut, laß ab davon!" sagte das Venedigermandl gebieterisch und war verschwunden.
Wenzel Friedrich folgte nicht dem Rat des Venedigers. Er ließ nachgraben und fand wirklich einen großen Schatz. Über zwanzig eiserne Kisten wurden zutage gefördert. Jede war schwerer als die andere. Und alle diese Kisten waren gefüllt mit Gold.
Einige Jahrzehnte darauf fing das Geschlecht der Friedrich infolge der
verschiedenen Zeitumstände an zu verarmen. Ob dies vom Schatz von
Engelsberg herkam, weiß man nicht.
Quelle: Anton Schipflinger in: Tiroler Heimatblätter
1939, Nr. 11, S. 285.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner
näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger
Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler,
Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).