Sagen vom Kirchanger-Kirchlein
Um Wallfahrtsorte wob man gerne legendenhafte Sagen. Besonders das Entstehen der Wallfahrtsorte wurde mit Sagen bekränzt. Auch das Kirchanger-Kirchlein bei Kirchberg gilt als gerne besuchte Wallfahrtskirche. Einige Sagen über geheimnisvolle Vorkommnisse sind nachstehend aufgezeichnet. Über die Entstehung dieses Kirchleins berichtet eine Sage folgendes:
Ein Kirchberger Bauer, der als sehr reich galt und auch großen Grundbesitz hatte, träumte in der Nacht einen seltsamen Traum. Er träumte, daß im Keller seines Nachbarn ein Schatz vergraben ist. Der Nachbar wußte jedoch nichts davon. Der Bauer glaubte dem Traum und wollte nun den Schatz, ohne davon ein Wörtl dem Nachbarn, dem wirklichen Besitzer des Schatzes, zu sagen. Er dachte hin und her, wie er es anstellen sollte, damit er nicht gestört werde bei der Arbeit. Dem Bauer fiel kein rechter Gedanke ein, er beschloß daher, dem Nachbarn vom Schatz einen kleinen Teil zu geben. Er ging an einem Abend zum Nachbarn und erzählte diesem vom Schatze im Keller. Als der Bauer vom Nachgraben redete, wollte der Nachbar die Hälfte des Schatzes haben. Der Bauer wollte nur einen kleinen Teil hergeben. Es kam daher zu keiner Einigung. In der Nacht grub der Besitzer des Kellers nach und fand statt des erhofften Geldes ein Marienbild. Der Finder dachte sich, wenn ich dieses Marienbild wieder hineinlege und schön zumache, dann kann ich mit dem Bauer nochmals reden, vielleicht bietet er mir Geld, wenn ich ihm den ganzen Schatz überlasse. Gedacht, getan. Am nächsten Morgen kam der Bauer wieder und wollte weiter verhandeln. Wie nun der Nachbar mit seinem Geldangebot herausrückte, wurden sie bald einig. Der Bauer grub nach und fand einen irdenen Krug voller Goldmünzen. Dies sah nun der schwer enttäuschte Eigentümer des Kellers. Als der Bauer den Schatz behoben hatte, grub der Besitzer des Kellers nach und fand wieder das Marienbild. Diesmal trug er es in seine Kammer und bewahrte es dort auf. Nach einigen Tagen war das Marienbild verschwunden; man fand es auf der Stelle, wo heute das Kirchanger-Kirchlein steht. Der Finder ließ dort eine kleine Kapelle bauen.
Nach einer anderen Sage entstand das Kirchlein durch eine Dirn. In Kirchberg
diente bei einem Bauer eine Dirn, die sehr arm war und sonst nichts hatte,
als das, was ihr der Bauer gab. Der Bauer eilte mit dem Geben nicht, so
mußte die Dirn daher oft die schlechtesten Kleider anziehen. Mit
einem solchen Kleid wurde sie im Winter einmal in den Wald geschickt.
Wie sie nun so durch den Schnee watete, sah sie ein Marienbild. Schnell
hob die Dirn das Bild auf. Sie wollte das Bild nach Hause tragen, doch
es wurde immer schwerer. Die Dirn legte das Marienbild zu einer Tanne
hin und eilte nach Hause, um den Fund zu melden. Der Bauer ging gleich
zur Stelle, wo das Marienbild stand, wollte es aufheben, doch er brachte
es nicht vom Platze. Er beschloß, hier ein Kirchlein zu bauen, und
so soll das Kirchanger-Kirchlein entstanden sein.
Später besuchte die Dirn oft das Kirchlein. Und einmal schenkte
ihr ein Bettelweib, welches im Kirchlein kniete und betete, zwölf
Goldstücke. Die Dirn weigerte sich anfangs das Geld zu sich zu nehmen,
denn sie glaubte, es sei etwa gestohlenes Gut; doch als die Bettlerin
sagte: "Wenn du das Geld nicht nimmst, so bin ich auf ewig verloren",
nahm sie es an und verbrauchte es ehrlich. - Das Bettelweib war eine Gräfin,
die von ihrem Manne verstoßen wurde, da sie sehr geldgierig war.
Die zwölf Geldstücke waren vom Teufel und wer diese besaß,
wurde von der Geldgier und deren Folgen erfaßt. Es war sonderbar,
daß die Dirn von der Geldgier verschont blieb.
Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Unterland
1937, Nr. 21, S. 5
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner
näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger
Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler,
Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).