Das Mitternachtsfeuer
Es war in alter Zeit, da hauste auf Schloß Itter ein gar grausamer Geist. Er versuchte ahnungslose Menschen in die Nähe des Schlosses zu bringen, von wo er sie in ein unterirdisches Verließ brachte und dort tagelang quälte.
Ein Bauer vom Salvenberg hatte am Abend in Itter etwas zu tun. Als er sich auf den Heimweg machte, war es stockdunkel. -Gehört hatte er vom Itterer Geist schon oft, aber er glaubte nicht daran. - Auf einmal stand ein Mann neben ihm. Der fremde Mann nahm den Bauer beim Arm und ging mit ihm in jenes Verließ, in dem schon viele schmachteten. Wieder Bauer sah, was der Mann mit ihm wollte, sagte er: "Was willst du?" "Nichts", antwortete der Mann. "Warum hast du mich hierher gebracht?" fragte der Bauer.
Jetzt gab sich der Mann zu erkennen; er war der Geist von Itter. Dem Bauern wurde bang. Was nun? Da im Verließ auch kein Licht war, durchsuchte der Bauer seine Taschen und fand, was er brauchte. Zunder und Feuerstein. Schnell probierte er Feuer zu machen. Und es gelang ihm. Mit dem Feuer in der Hand versuchte er die Tür zu öffnen. Als er die Tür geöffnet hatte, flüchtete er in das Freie.
Seit diesem Tage mußte der Geist bis zu seiner Erlösung im Verließ neben einem Lichtlein bleiben. Zur Mitternachtstunde wurde das Lichtlein größer; dieses Lichtlein nannte man das Mitternachtsfeuer.
Als der Geist erlöst wurde, wanderte das Lichtlein in der Nacht
zu jenem Bauern, der ihm im Verließ mit Zunder und Feuerstein Feuer
machte. Dort erlosch es.
Quelle: Anton Schipflinger in: Tiroler Heimatblätter
1937, Nr. 3, S. 79 - 81.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner
näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger
Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler,
Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).