Das wilde Freil von Schmalzeck
Auf dieser Alm hauste vor urdenklichen Zeiten ein wildes Fräulein. Es war so schön, daß sie ein jeder gerne hätte sehen mögen. Doch niemanden war es gelungen, sie anblicken zu können; mochten sie auch Tag und Nacht ausspähen.
Ein Bauernbub, der wenig auf den Sonntagsgottesdienst hielt, versuchte sein Glück.
Samstag abends begab er sich auf die Alm. Die Nacht verbrachte er in der Alphütte. In aller Frühe ging er schauen, ob sich nicht etwa das schöne wilde Fräulein blicken läßt. Halb entmutigt wollte er heimzu gehen. Da hörte er eine Stimme: "Kind, ich sage dir, gehe, bevor Gott dich straft! Eile, damit du noch vor der Wandlung in das Dorf kommst!"
Dem Bauernbuben schien es gar nicht so eilig, denn als es Wandlung läutete, stand er noch auf der Alm und bestaunte das wilde Fräulein.
Das wilde Fräulein reichte ihm Butter und Brot mit dem Bemerken,
er solle sich ein tüchtiges Butterbrot machen. Er tat es. Nach dem
ersten Biß fiel er um und war tot. Das wilde Fräulein verschwand.
Quelle: Anton Schipflinger in: Tiroler Grenzbote, 1936
Nr. 94; Die Heimat Glocke (Beilage zum Tiroler Grenzboten und zum Tiroler
Volksblatt, Blatt 21, S. 6.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner
näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger
Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler,
Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).