Das Steinhütt-Fräulein
Auf der Steinhütt-Alm stand in alter Zeit eine steinerne Hütte. In dieser wohnte ein weniger schönes Fräulein. Die Leute nannten es kurzweg das "Hüttenfräulein". Seine Mahlzeiten bestanden meistens nur aus Kräutersuppen.
Die Bauern hatten eine gewisse Furcht vor diesem Fräulein. Größer noch war die Furcht, die die Bäuerinnen hatten, denn man mutete ihm allerhand geheime Dinge zu.
Eine besonders neugierige Bauersfrau wollte einmal - nur einmal - mit diesem wilden Fräulein zusammen kommen. Obwohl die Bauersfrau sehr ängstlich war - aber das wilde Fräulein mußte sie sehen.
An einem Freitag ging sie nun zum Hüttenfräulein. Das Fräulein empfing sie auf das Herzlichste. In der Steinhütte mußte die Bäuerin auf einem steinernen Sessel Platz nehmen. Als es der Bäuerin gar nicht mehr behagte auf diesem Sessel, da wollte sie aufstehen - konnte aber nicht mehr. Sie fing an zu fluchen und böse Wünsche gegen das Fräulein auszustoßen. Das wilde Fräulein lachte und höhnte die Bäuerin: "Ja, warum bist du so neugierig gewesen, 's ist ja ganz nett sitzen auf diesem Sessel. Ganz ein praktischer Sessel für dich!"
Als die Bäuerin sah, daß sie hier mit Fluchen und Wünschen
nichts ausrichtete, wollte sie es mit Gutem probieren. Doch als sie aufhörte,
zu fluchen, war sie in einen Stein verwandelt.
Quelle: Anton Schipflinger in: Tiroler Grenzbote, 1937
Nr. 37; Die Heimat Glocke (Beilage zum Tiroler Grenzboten und zum Tiroler
Volksblatt, Blatt 6, S. 6.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner
näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger
Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler,
Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).