Die Sagen vom Treiben der wilden Innschiffahrt
Die "wüd'n Innschiffleut" sollen das erstemal in der hl. Nacht erscheinen. Manche Erzähler behaupten, daß in der hl. Nacht keine wilde Innschiffahrt durch Tirol führt, denn die hl. Nacht gehört dem Inngeist. Das zweitemal kommt sie am Vorabend des Dreikönigsfestes. Eine Nachzüglerfahrt wird am Lichtmeßtag gemacht. Die wilde Schiffahrt kann man mit dem wilden Heer vergleichen. Es besteht nur der Unterschied, daß die Ersteren zu Wasser kommen, die Letzteren in der Luft. Auch sonst scheint manches ein wenig anders. Die Frage von woher und bis wie weit die wilde Innschiffahrt zieht, ist schwer zu beantworten, denn die Sagen geben keine genaue Örtlichkeit an.
Die wilde Innschiffahrt dürfte auch im Oberland und in Bayern bekannt sein. Dies schließe ich darum, weil die Sagen "allgemein" sind, d. h. sie beziehen sich nicht auf einen bestimmten Landesteil.
Die wilden Innschiffleut waren alle Männer. Ein wildes, verwegenes Gesicht mit Hakennase und zornblickenden Augen lugte unter der Zipfelmütze hervor. Ihre Kleider waren warme Tierfelle. Auf fliegenden Schiffen fuhren sie durch Tirol. Wenn sie Halt machten, fing das Wasser an, Wellen zu schlagen.
Man erzählt, daß derjenige, der mit der wilden Innschiffahrt mitmußte, grobe Pein aushallen mußte. Die wilden Schiffleut waren grobe Gesellen und kannten weder Mitleid noch Barmherzigkeit.
Am Lichtmeßtag zieht der letzte Zug der wilden Innschiffleut durch Tirol. An diesem Tage erscheinen den Bauern und Dienstboten, die im vergangenen Jahr Lohnstreitigkeiten hatten, die Innschiffleut. Wehe dem, der kein reines Gewissen hat. Er muß mit der wilden Innschiffahrt mitfahren - weiß Gott wohin.
Es ist etwas eigenartiges, geheimnisvolles, wenn man in der Weihnachtszeit von der wilden Innschiffahrt erzählen hört. Es ist, als stecke ein Körnchen Wahrheit dahinter.
Eine Bäuerin wollte gerne die wilde Innschiffahrt sehen. Sie begab sich am Dreikönigstag zum Inn. Es dauerte lange Zeit, die Sterne standen schon längst am Himmel, als sie das Wasser peitschen hörte. Vor lauter Neugier trat sie näher an den Inn. Wie sie die grausigen Männer sah, wollte sie davonlaufen. Aber da hatte sie ein Mann schon in den Händen und zerrte sie mit.
Ein Zimmermeister, der schon viele Häuser erbaut und für manche Kirche eine Arbeit verrichtet hatte, hörte von der wilden Innschiffahrt. "Do mecht i sechn", sagte er und wartete auf den Dreikönigsabend.
Es war einige Tage vor dem Weihnachtsfest, als der Zimmermeister auf dem Heimweg durch einen Wald schritt. Da hörte er eine Stimme rufen: "Zimmermann, frag nicht nach der wilden Innschiffahrt, es sind lauter grausige Leut dabei! Hundert Jahr und noch mehr kannst du büßen für deine Neugier!"
"Ach was, die wilde Innschiffahrt will ich sehen", dachte sich der Zimmermann und schlug die Worte, die er im Walde gehört hatte, in den Wind.
Endlich kam er, der hart erwartete Dreikönigsabend. Schon bei Tagesanbruch begab er sich an den Inn. Viele Stunden mußte er warten, bis die wilde Innschiffahrt kam. Kurz vor Mitternacht erschienen die wilden Innschiffleut. Auf einem großen Boot, wie man solches zum Salz Liefern hatte, saßen viele wilde, bärtige Männer. Einige schlugen die Ruder. Die anderen saßen auf den Bänken neben dem Feuer. Wie die wilden Innschiffer den Zimmermann sahen, sprangen zwei vom Boot. Der Zimmermeister setzte sich zur Wehr, doch es half ihm wenig, denn die wilden Innschiffleut waren stärker als er.
Ein ganzes Jahr war er verschollen. Niemand wußte, wohin er war. Erst als er im nächsten Jahr von den wilden Innschiffleuten auf jene Stelle geführt wurde, von der sie ihn geholt hatten, kam er zu sich selbst. Über die Zeit, die er bei der wilden Innschiffahrt verbrachte, wußte er wenig zu erzählen. Nur an einige Kleinigkeiten konnte er sich erinnern.
Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Unterland
1937, Nr. 35, S. 7.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner
näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger
Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler,
Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).