Das angeschossene Kasermandl
Auf der Alpe Graun im Vintschgau gieng ein Kasermanndl um, das häufig bei nacht so stark von außen gegen die Hüttenthüredrückte, daß sie in allen Fugen krachte und aufzuspringen drohte. Die Senner versperrten sie deshalb auch noch mit starken Balken.
Eines Abends brach ein furchtbares Unwetter los, und ein Jäger erreichte
gerade noch das schützende Dach der Hütte, als es in Strömen
zu regnen anfieng. Grelle Blitze zuckten, betäubende Donnerschläge
folgten allemal fast gleichzeitig, und das Vieh stürmte brüllend
in den Stall. Da hörte man ein Krachen an der Thüre, und die
Senner meinten: "Aha, kimmt'r wied'r!" Der Jäger fragte
verwundert, wer denn von draußen so herein drücke. Als sie
ihm von diesem Kasermanndl erzählt hatten, erklärte er, der
Almputz, falls er nicht gleich Ruhe gäbe, sofort niederschießen
zu wollen. Eilig lud er eine Kreuzkugel in den Lauf und rief dreimal nacheinander:
"Geast, oder i schiaß!" Als das Manndl auch das drittemal
nicht wich, schoß der kecke Jäger mitten durch die Thüre.
Jetzt ertönte ein solcher Schrei, daß man ihm weithin hören
konnte und das Vieh nach allen Richtungen auseinandertob. Als die Männer
vor die Hütte hinaustraten, sahen sie das Kasermanndl gegen den Ferner
zu eilen, doch hatte es einen solchen Gestank im ganzen Thale zurückgelassen,
daß sie sich schleunig wieder in die Hütte zurückzogen.
Seit diesem Vorfall aber macht sich der Putz nie mehr auf dieser Alpe
bemerkbar.
Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 17.