Die Stallwichtelen
Zu Inzing im Oberinnthal hielten sich vor alter Zeit in den Ställen kleine Männlein, die Wichtelen, auf. Wo sie weilten, blieb das Vieh gesund, gab viel Milch und keine Hexe konnte Macht darüber bekommen. Sie waren aber nur wenigen Leuten sichtbar, die meisten hörten nur mitunter ihren lieblichen Gesang im Stalle ertönen, bald über dieser und im nächsten Augenblicke wieder über einer andern Kuh. Die Neckereien aber konnten sie trotz ihrer gutmüthigen Gesinnung nicht lassen.
So gewahrte einmal ein Knecht, als er in der Frühe melken gieng, daß die schönste Kuh ihren Kopf durch eine ganz enge "Kluff'n" in der Stallthüre herausstreckte. Eilig lief er ins haus zurück und benachrichtigte den Bauern davon. Dieser rannte mit dem Knechte zum Stalle, konnte aber nichts Ungewöhnliches wahrnehmen, denn die Kuh stand jetzt ruhig an ihrem Platze. Die beiden hörten aber die Weichtelen aus allen Winkeln kichern und lachen, da ihr gelungenes Stücklein dem Bauer und Knecht einen solchen Schrecken eingejagt hatte.
Ein anderer Knecht in Inzing, der dem Gesang eines solchen Wichtels fast
täglich lauschte, wollte sich ihm dankbar erweisen, kaufte ein Stück
rothes tuch und ließ daraus für daselbe ein Röcklein anfertigen.
Als er es aber im Stalle aufgehängt hatte, verließ diesen das
Wichtl laut weinend, und er hat es seitdem nicht wieder gesehen ab er
dingen gehört.
Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer
Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von
Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 12.