Unser Hergott in Schwendau
Vor alter Zeit waren die Felder um Schwendau viel fruchtbarer als heutzutage, doch die Bewohner desselben, durch den Reichthum übermüthig gemacht, wurden gottlos und hart gegen die Armen. Endlich wollte sich unser Herr in eigener Person von dem Frevelmuthe der Bauern überzeugen und wanderte eines Abends als Bettlermanndl von haus zu Haus, um eine Nachtherberge bittend. Überall wurde er barschabgewiesen, bis er am Ende des Dorfes zu einer Schmiede kam. Hier wohnte auch ein altes Mütterlein, das dem Manndl freundlich Unterkunft gewährte. Um Mitternacht begann e s draußen schrecklich zu rauschen, donnern und krachen, worüber das arme Weiblein nicht wenig erschrak. Der Bettler jedoch bereitete die Arme aus und sprach:
"Vir und aus,
Vir mei Herbighaus!"
Als der Morgen graute, verstummte das Getöse. Nun gieng die Alte
mit dem Manndl vor die Hausthüre und sah, daß der Sidanbach
das ganze Dorf Schwendau in eine Wüste von Schlamm, Felsblöcken
und entwurzelten fichten verwandelt hatte. Von den Häusern war keine
spur mehr zu erblicken, nur die Schmiede stand noch und zwar völlig
unversehrt. Bevor jedoch das Manndl schied, sagte es noch, diese Überschwemmung
sei nur das Füllen gewesen, das Roß komme erst nach. Jetzt
erkannte das Weiblein, wen sie beherbergt hatte und sandte ein inbrünstiges
Dankgebet für die wunderbare Rettung zum Himmel. Heute noch zeigt
man das Stübchen, in welchem unser Hergott damals übernachtete.
Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer
Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von
Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 113.