Die Wallfahrt Kaltenbrunn
Ein Bauer von Wenns im Pitzthale hatte ganz unbegründeter Weise einen tödlichen Haß auf sein treues Weib und er gieng immer mehr und mehr mit dem Gedanken um, dasselbe bei einer günstigen Gelegenheit aus der Welt zu schaffen. Da machte er einmal seiner Gattin den Vorschlag, mitsammen eine Wallfahrt nach Kaltenbrunn zu unternehmen. Diese willigte auch gerne ein.
Als das Ehepaar zum sogenannten "jahen Bild" auf den Ziller Paß gekommen war, wo der Berg in einer furchtsamen Felswand zum Inn und der denkwürdigen Pontlatzerbrücke abfällt, munterte der Bauer sein Weib auf, in die tiefe zu blicken. Arglos befolgte es seine Worte und beugte sich etwas vor, um besser in den Abgrund hinabsehen zu können. Diesen Augenblick benützte der Ruchlose und stieß seine Gattin in die schauerliche Tiefe - Darauf setzte er schnell den Weg nach Kaltenbrunn fort und begab sich sogleich nach der Kirche, damit es den Anschein habe, als bete er für das Seelenheil seine "verunglückten" Gattin. Wie er aber das Gotteshaus betreten hatte, traute er seine Augen kaum, denn ersah dieselbe vor dem Gnadenbild knien, in inbrünstigem Gebete vertieft. Als die Betende Schritte auf sich zukommen hörte, wandte sie sich um und gewahrte ihren Mann. Diesen ergriff der milde, verklärte Blick seiner Gattin so mächtig, daß er vor ihr auf die Knie niedersank und sie flehentlich um Vergebung bat. Nach Christenpflicht verzieh sie auch ihrem reumüthigen Manne sein schweres Vergehen und erzählte ihm ihre wunderbare Rettung. Sie habe nämlich während des Sturzes die Muttergottes von Kaltenbrunn um Schutz und Hilfe angerufen und wie er sehe, nicht vergeblich, denn sie sei aus der ungeheuren Höhe ganz sanft aufgefallen. Darauf empfiengen beide die Sacramente der Buße und des Altars und kehrten in ihre Heimat zurück, wo sie bis zu ihrem Lebensende in Friede und Eintracht lebten.
Erst nach dem Tode der beiden Eheleute wurde die wunderbare Rettung dieser Bauersfrau allgemein bekannt, und durch dieses Wunder neuerdings gestärkt, wallfahrten Tausende zum Gnadenbild von Kaltenbrunn, um die Himmelskönigin zu lobpreisen oder in schweren Unglücksfällen Hilfe und Trost von ihr zu erbitten.
Maria von Kaltenbrunn, von Engeln getragen, Schranz-Kapelle,
Prutz
Fresko unter einem Vordach, über der Kapellentür
dat. 2. Viertel 18. Jh., 1958 erneuert (Vgl. DEHIO-Tirol 1980, S. 402)
© Christoph Praxmarer, 4. Juli 2004
von Christoph Praxmarer freundlicherweise für
SAGEN.at
zur Verfügung gestellt
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Auf dem Wege von Kauns nach Kaltenbrunn sah man viele Jahre hindurch
eine ungewöhnlich große, stets in der Richtung nach Kaltenbrunn
kriechende Kröte. Jeder, der sie antraf, schleuderte dieselbe unwillig
mit dem Fuße zur Seite. Mit der Zeit zeigte sie sich jedoch trotzdem
immer näher bei Kaltenbrunn und schließlich sogar vor der Kirchenthüre.
Natürlich suchte man sie von hier erst recht zu vertreiben, aber
es war vergeblich. Jeden Morgen war sie wieder zur Stelle und schien ängstlich
eine Gelegenheit zu erwarten, in das Gotteshaus hineinzukommen. Endlich
hatte sie eine solche erspäht und schlüpfte zur halb geöffneten
Thüre in die Kirche. Einige Wallfahrer, welche dies beobachtet hatten,
sahen als sie gleich darauf in die Kirche eintraten, eine marmorbleiche
Frauengestalt in schneeweißen Gewande. De Pfarrer ließ sie
sogleich zu sich kommen, und diesem sagte dieselbe, daß die kein
irdisches Wesen mehr sei und bei ihren Lebzeiten eine Wallfahrt nach Kaltenbrunn
gelobt, das Verssprechen aber nicht gehalten habe, weshalb sie nach ihrem
Tode verurtheilt worden sei, dasselbe als Kröte zu erfüllen.
Hierauf war sie verschwunden, und die erlöste Seele konnte sich nun
aufschwingen zu den ewigen Freuden.
Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 127.