RIESE HAYM

Es war vorzeiten ein Riese, genannt Haym oder Haymon. Als nun ein giftiger Drache in der Wildnis des Inntals hauste und den Einwohnern großen Schaden tat, so machte sich Haymon auf, suchte und tötete ihn. Dafür unterwarfen sich die Bewohner des Inntals seiner Herrschaft. Darnach erwarb er noch größeren Ruhm, indem er die Brücke über den Inn, daher die Stadt Innsbruck den Namen führt, fester baute, weshalb sich viel fremde Leute unter ihn begaben. Der Bischof von Chur aber taufte ihn, und Haymon erbaute zu Christi Ehren das Kloster Wilten, wo er bis an sein Ende lebte und begraben liegt.

Zu Wilten ist sein Grab zu sehen, vierzehn Schuh drei Zwergfinger lang, auf dem Grabe ist seine Gestalt in Rüstung aus Holz geschnitten. Auch zeigt man in der Sakristei die Drachenzunge samt einem alten Kelch, worauf die Passion abgebildet ist, den man vor mehr als elfhundert Jahren, wie man das Fundament des Klosters grub, in der Erde gefunden, also daß der Kelch bald nach Christi Himmelfahrt gemacht war. Neben Haymes Grab hängt eine Tafel, worauf sein Leben geschrieben steht.


Kommentar: Matth. Holzwart: Lustgarten newer deutscher Poeterei, Straßb. 1568, f. S. 164-166. Pighius: Hercules prodic., 167. Vgl. Job. Müller: Schweiz. Gesch., I, 98, N.81.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 139