Der Alberer in der Wildschönau
Wenn die Senner die Almen verlassen und ihr Vieh abtreiben, zieht da
oder dort der Alberer oder Alperer*) in die Alm-Hütte ein und macht
noch einen Sommer. Der rechte Senner kann von Glück reden, wenn er
sein Almvieh rechtzeitig aus dem Machtbereich seines fürchterlichen
Nachfolgers bringt. Denn dieser ist überaus stark und knochig, rollt
entsetzlich seine glühenden Augen und treibt mit einem ellenlangen
Stecken sein Vieh in gestreckten Sprüngen vorwärts. Der rechte
Senner muss acht darauf haben, dass sein Stier ja nicht mit dem breithörnigen
Stiere seines Collegen [Kollegen] zu Stoß komme. Der Alberer treibt
immer hundert kohlschwarze Kühe auf, nicht mehr und nicht weniger,
und einen kohlschwarzen Stier. Allen geht helles Feuer aus dem Maule.
Die Kühe laufen in einer langen Reihe, eine hinter der anderen, so
dass der Zug einer weitgedehnten Flamme gleicht, in die sich wieder hie
und da dunkle Nacht mischt. Diese schwarzen Rinder erheben lautes Brüllen,
und der Alberer gibt mit entsetzlichem Fluchen den Takt dazu. Will es
einer seiner Kühe beifallen, aus der Reihe zu springen, so geräth
[gerät] er in völlige Wuth [Wut] und haut mit seinem Stecken
so wuchtig auf das Thier [Tier], dass es mitten entzwei bricht. In noch
ärgeren Zorn fällt er aber, wenn die Kuh hinter ihm wieder frisch
und gesund aufsteht, was auch vorkommen soll. Einige behaupten, er könne
auch dem Menschen schaden, andere dagegen wollen wissen, dass ihm über
diesen keine Gewalt gegeben sei. Wer ein wirklich grässliches Bild
dieser Sage sehen will, der gehe auf Hollastiegel hinauf in die Alpenkapelle
der inneren Holzalm.
*) Von diesem dürfte der "Alperer"
in den Tuxer Fernern seinen Namen haben.
Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus
Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 19, S. 61f