Sagen von der Alm Towin im Stanzerthal [Stanzertal]
Auf der Alpe Towin gibt es uralte Knappenlöcher. Wann und auf was für Erz da geknappet [abgebaut] wurde und weshalb das Bergwerk in Abgang gekommen ist, weiß niemand mehr zu sagen. Aber die Spuren sind einmal da. Später, nachdem die Knappen schon längst weg waren oder ausgestorben, kamen öfter Venediger Männlein auf die Alm, mit Säcken auf dem Rücken, und suchten und suchten und trugen die Säcke, mit Steinen vollgepackt, wieder fort. Die Leute sagen, mit gewöhnlichen Steinen, denn wo ein anderer Mensch nichts sieht, gewahren die Venediger Gold und Edelstein; sie haben den Bergspiegel.
Ein solches Venediger Männlein sagte, auf Towin wäre eine Goldader, so dick wie ein Sägebaum. Wenn die Leute es verstünden, sie könnten alle reich werden.
Auf Schönverill, so heißt ein Weideboden auf Towin, werfen, wie das Mannl einem Bauern sagte, die Hirten oft den Kühen Steine nach, von denen ein einzelner mehr wert sei als die ganze Kuh, auf die der Stein fliegt.
Auf der Alpe Towin ist ein See, der keinen Grund hat; er steht nämlich unterirdisch mit dem See auf dem Giggl- oder Verpailjoch in Verbindung. Einst sprengte ein gesatteltes Ross auf Towin in den See, und der Sattel davon gieng im See auf dem Verpailjoch auf.
In diesem grundlosen See auf Towin hauste in alter Zeit ein Drache. Bei
schlechtem Wetter gieng er nicht heraus, wohl aber bei schönem. Da
legte er sich dann oft schräg über den Weg, bald auf der, bald
auf einer anderen Seite, und bewachte den Zugang. Wehe dem, der sich heranwagte!
Die Leute fürchteten sich so sehr vor dem Unthier [Untier], dass
bald bei gutem Wetter keiner mehr den Almweg gehen wollte, (Strengen.)
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 30, S. 27f