Die sieben versteinerten Brüder
Am südlichen Ende des Pfarrdorfes Telfes in Stubai stand auf einem Bühel vor alters eine Ritterburg. Die Gemahlin des Ritters war bereits gestorben, und ihre brave Tochter sorgte an deren Stelle für die Wirtschaft, während der Vater dem Wilde nachstellte.
Eines Tages kam ein schmucker Rittersmann, einer von den Fahrenden, auf die Burg und entzückte das Herz des Schlossfräuleins durch seine herrlichen Lieder. Davon ward der strenge Burgherr alsogleich benachrichtigt, und er entbot in der ersten Hitze die sieben Brüder von der Feste Sonnenburg herbei, dass sie um seine Tochter das Los würfen. Die Sonnenburger aber waren Raubritter und abscheuliche Zechbrüder. Als das Burgfräulein davon hörte, fiel sie in Ohnmacht, und der Burgherr befahl wüthend [wütend], den Sänger zu binden und in den Thurm [Turm] zu werfen. Dieser aber schwang drohend sein Schwert, und schon schien der Kampf unausbleiblich, als der greise Burgpfaffe eintrat, ein überaus frommer Diener Gottes, und zum Frieden mahnte. "Aus dem Wege, Hund!" schnaubte jedoch der Ritter den Geistlichen an und stieß ihn mit dem Fuß auf die Seite. In diesem Augenblick fuhr ein blendender Strahl vom Himmel, und das Schloss wankte unter der fürchterlichen Macht des sich erhebenden Wettersturmes. Die sieben Räuber von der Sonnenburg stürmten sammt [sic] dem Schlossherrn schreckensbleich in den Burghof hinab, um nicht unter den Trümmern begraben zu werden, aber unten erfasste sie der Wirbelsturm und trug sie durch die Luft.
Auch die übrigen verließen die Burg, und kaum waren sie draußen,
als dieselbe spurlos in die Erde versank. Der fromme Geistliche segnete
noch den Ehebund des fremden Sängers mit dem blonden Burgfräulein
und flog dann vor ihren Augen als weiße Taube gegen Himmel. Oben
aber auf dem Ampferstein sitzen die sieben, gottlosen Brüder, die
um die Braut die Würfel geworfen, versteinert bis an den jüngsten
Tag. Der Acker am Bühel, auf dem das Schloss stand, heißt noch
heute der "Burgacker".
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 12, S. 55f