DER ALMPUTZ UND DIE KINDER
Auf der Umbrückler Alm ober Hötting hauste ein Almputz. Es war ein kleines, meeraltes, graues Männlein, das keinen Spaß verstand, aber den guten Menschen nie etwas zuleide that. Nur wer es verspottete, dem war das Männlein gram.
Eine arme Mutter in der Höttingerau schickte ihre beiden Kinder in den Wald ober Hötting, um Kleinholz zusammenzulesen. Die Kinder hatten schon ein Bündel Reisig gesammelt, als es zu schneien anfieng, obwohl es noch nicht spät im Herbst war. Und es schneite fort und wehte immer ärger, so daß die Kinder den Heimweg nimmer antrafen.
Sie vergiengen sich und gelangten endlich auf die Umbrückler Alm. Da sahen sie eine Hütte und beschlossen, wenn diese offen wäre, darin zu übernachten; denn heim, das sahen sie wohl ein, konnten sie an diesem Tage nimmer. Die Hütte war offen, und darin fanden sie ein gar sonderbares Männlein, welches die Kinder freundlich aufnahm, einige Knoten dem Feuer zulegte, auf daß sie sich recht trocknen und erwärmen könnten, und zuletzt gar noch den Kleinen ein köstliches Rahmmus kochte. Die Kinder, welche sich anfangs doch ein wenig gefürchtet hatten, wurden nach und nach zutraulich und erzählten dem Männlein, wie sie daher gekommen wären. Das Männlein sagte: "O mei, Kinderlen, heut' ist es nichts mehr mit heimgehen; bleibt nur da übernacht, und morgen wird das Wetter schon wieder besser sein." Darnach aßen die Kleinen behaglich das Rahmmus und Weißbrot dazu, welches sie auch vom Männlein bekommen hatten, und als sie satt waren, beteten sie ihr Nachtgebet, und das Männlein bereitete ihnen unterdessen ein weiches Heulager, in welchem sie sodann recht warm schliefen, bis am anderen Tage die Sonne schon hoch am Himmel stand. Da rieben sie sich die Augen aus, und das Männlein hieß sie zum Frühstück kommen. Sie beteten vorher ihr Morgengebet und aßen dann begierig das herrliche Muß sammt dem Weißbrot, das der Alte ihnen vorgesetzt hatte. Es war ihnen, als hätten sie lange nichts mehr gegessen, so großen Appetit verspürten sie.
Umbrückleralmputz und die
Kinder
© Künstlerin
Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm, Anita Mair-Rehm,
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freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt
Darauf hieß sie das Männlein heimgehen und gab ihnen noch einen Laib schönes Brot zur Zehrung auf den Weg mit. Die Kinder nahmen das gesammelte Holz, und der Alte gieng mit ihnen, bis sie den Weg nicht mehr fehlen konnten. Dann bedankten sie sich schön und nahmen Abschied vom Männlein. Der Weg war aber schneefrei und der Himmel schön klar.
Zuhause angekommen, trafen sie zuerst die Mutter, welche ganz bleich und abgezehrt war und zuerst meinte, die Kleinen seien die Geister ihrer Kinder, denn sie hielt dieselben für todt und sich selbst für die Ursache ihres Todes. Es war nämlich im Frühling, und die Kinder wußten nicht, daß sie nicht eine Nacht, sondern den ganzen Winter hindurch oben geschlafen hatten.
Als sich die Mutter von der Leibhaftigkeit der Kleinen überzeugt und diese erzählt hatten, wie es ihnen ergangen, da entstand eine große Freude im Häuschen der armen Leute, und die Freude wurde noch größer, als man sah, daß der Laib Brot, den das Männlein den Kleinen mitgegeben hatte, kein Ende nahm, man mochte herabschneiden, soviel man wollte.
Erst als das Schwesterlein einmal verwundert ausrief:
"Wird der Laib nie kleiner ?", da wurde er gar.
Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen
aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. II /37, Seite 73f.