Der Teufel holt einen Gotteslästerer
Gehst du in Hall bei der Pfarrkirche vorbei und schaust hinauf zu jenem kleinen Fenster, das die Schneckenstiege beleuchtet, die auf der linken Seite zur Emporkirche hinaufführt, da erblickst du auf dem Sandstein, der dem Fenster als Oberlage dient, einen rothen [roten] Streifen, als wäre der Stein einmal mit Blut bestrichen worden.
Vorzeiten lebten in Hall zwei leidenschaftliche Spieler, die bei den Karten aufgewachsen waren und kein anderes Handwerk gelernt hatten. Sie erdachten sich folgende List, um auch während der kurzen Zeit des Gottesdienstes noch spielen zu können. Sie nahmen nämlich ihren Platz auf der Stiege ein, die links zur Emporkirche hinauf führt. Da konnten sie, ohne gestört zu werden, treiben, was sie wollten, denn die Leute pflegten zur Emporkirche auf der rechtsseitigen Stiege hinaufzusteigen. So spielten die beiden wieder einmal auf der Stiege; das Glück war aber heute offenbar nur dem einen hold, da der andere immer nur verspielte. Der Einsatz wurde immer höher und größer der Verlurst [Verlust]. Mit zitternder Hand und voller Wuth [Wut] warf der Verspieler [Verlierer] sein letztes Geld zum Satze hin; auch das gieng [sic] verloren. Nun fieng [sic] er an zu fluchen und alles Heilige zu lästern, dass man selbst durch die dicke Mauer, welche die Schneckenstiege vom Langschiffe trennt, seine Gotteslästerung vernahm und den Betenden vor Entsetzen die Haare zu Berge standen. Auf einmal drang von unten Schwefeldampf in die Höhe, der Teufel, halb schwarzer Bock, halb Mensch, stieg die Treppe herauf, drehte dem Lästerer den Hals um und fuhr mit ihm, während ein heftiger Windstoß an den Kirchenfenstern rüttelte, durch das kleine Fenster hinaus.
Nach dem Gottesdienste untersuchten die Leute den Raum, aus dem der sacrilegische
[sakrilegische] Lärm gekommen war; da fanden sie den einen der beiden
Spieler wie todt [tot] auf dem Boden und draußen an dem Fenster
das Blut. Als der zurückgebliebene Spieler aus seiner Ohnmacht erwachte,
erzählte er den ganzen Hergang. Er war gründlich gewitzigt,
bekehrte sich und rührte keine Karte mehr an.
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 63, S. 100f