Der Schatz auf der Kreuzplatte
Am Wege zwischen Grins und dem Rallsberg ober Strengen, an der Gemeindegrenze zwischen Strengen und Grins auf der sogenannten Kreuzplatte liegt unter einem hohlen Steine ein Schatz verborgen, der, sobald er blüht, als ein Kessel voll Kohlen oder Rosszähne sich zeigt. So stand der Kessel mit Rosszähnen einmal unter dem Baume am hohlen Stein. Ein Hirte steckte sich einige der blühweißen Zähne in den Sack, und als er sie daheim herzeigte, waren es lauter Goldstücke. Er gieng wohl schleunig wieder zum Baume zurück, die anderen auch zu nehmen, fand aber trotz eifrigen Suchens weder Kessel noch Zähne. Nach ihm giengen viele Leute aus, auch bei der Nacht, den Schatz zu gewinnen, aber alle umsonst. Man kam auf den Einfall, die unschuldigen Kinder nach dem Schatze auszusenden, vielleicht bekämen diese eher das Gold als die sündigen Menschen. Aber auch den Kindern zeigte sich der Schatz nicht.
Nun besitzen das Weißaschgern- (Elfen-) und das Weißhaselholz bekanntlich größere Kraft als andere Hölzer. Das erstere bricht bösen Zauber, mit dem letzteren kann man Schätze heben und aus der Tiefe heraufbannen. Die sogenannte Wünschel- oder Visierruthe musste aber ein einjähriges, zwieseliges (d. h. gabelförmiges) Reis dieser Haselstaude sein.
Mit einer solchen regelrechten Wünschelruthe [Wünschelrute] giengen einmal zwei Männer aus, den oben erwähnten, an der alten "Säumerstraße", die von Grins über den Rallsberg nach Flirsch führt, auf der Kreuzplatte unter dem hohlen Stein befindlichen Schatz zu heben. Gerade, wie's Mitternacht ist, kommen sie auf den Stein zu. Sie ziehen mit dem Rüthlein einen großen Zauberkreis um sich selbst und um den Stein und fiengen dort, wo die Ruthe sich gegen den Boden neigte, wo also der Schatz unter war, an zu graben. Sprechen durften sie kein Wort dabei. Schon hatten sie den Deckel des Schatzkessels bloßgelegt, als ober ihnen im Walde ein Tosen und Krachen losgieng, als wollte der ganze Berg zusammenstürzen. Entsetzt liefen sie davon und ließen den Schatz und sogar ihr Werkzeug im Stich.
Als sie bei Tage heraufkamen, wenigstens das Werkzeug zu holen, fanden
sie die Bickel [Pickel] und Schaufeln, Hämmer und Stemmeisen wie
auch die Ruckkörbe, in denen sie das Gold hatten wegtragen wollen,
weit umhergeworfen, und von dem Loch, das sie aufgeworfen hatten, war
keine Spur mehr zu sehen.
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 38, S. 33f