Wie ich dem verstorbenen Maler Siber begegnete

Der Kunstmaler Alfons Siber in Hall war mir ein guter Freund. Er besaß östlich von Hall einen schönen Ansitz und unterhalb von diesem eine große Inninsel, die Guggerinsel, wie sie die Leute nannten. Auf die ging Siber gerne über eine "welsche Brücke", die er sich über den Gießen hatte bauen lassen, fischen. Einmal im Nachwinter, es wird so im März gewesen sein und es war ein wenig Neuschnee gefallen, ging ich vom Weißenbach her am Weg neben dem Bahndamm Hall zu. Da sah ich von oben her den Siber kommen, den Försterkragen umgeworfen, wie er es im Brauch hatte, auf dem Hut den Gamsbart, den Fischerkübel umgehängt und in der Hand die Fischerlatte. "Ah, das ist nett", dachte ich, "da können wir ein bißchen dischgerieren". Doch bevor wir uns trafen, bog er zur Gießenbrücke hin ab. Als ich zur Stelle kam, wo er vom Weg abgebogen war, war von ihm nirgends etwas zu sehen. Besonders erstaunt war ich, daß ich auf- und abwärts im frischgefallenen Schnee nirgends eine Spur abzweigen sah. Da kam mir erst zum Bewußtsein, daß der Siber ja schon im vergangenen Sommer gestorben war.

Erzähler: der Imster Mundartdichter Jakob Kopp
Erzählt: Sommer 1940

Quelle: Adalbert Koch, Ein Beitrag zur Oberinntaler Sagenkunde, in: Tiroler Heimatblätter, Heft 7 / 9, 1966, S. 94 - 97.