DER ACHSELKOPF BEI INNSBRUCK
J. Pöll, 1926

Jeder hat so seine Zeiten, in denen er etwas ganz besonderes liebt. Der eine ein Mädel, der andere ein gewisses Wirtshaus, der dritte einen Berg, irgendeinen, sagen wir den Achselkopf. Er ist nichts Gewaltiges, verlangt keine Schwindelfreiheit, keinen Eispickel und kein Seil, ist also überaus bescheiden. Aber Liebe verlangt er und das möchte man ihm kaum ansehen. Er ist ja nicht einmal ein Berg, nicht einmal ein Mogel, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Ableger vom Brandjochkreuz und das ist wieder nur ein Ableger des hochfahrenden Brandjochs und dieses ist abermals noch viel weniger als mancher Berg weiter südlich, der vermöge seiner Hausnummer über 3000 spöttisch zu dieser ganzen Mogelei herübergrinst. Aber wenn ich diesen Berg doch gern habe, so geht das die ganze Gletschersippschaft drüben in Stubai, Tux und im Ötztal einen Schmarrn an. Ich habe meine Gründe. Erstens war der Achselkopf der erste Berg, den ich bestieg, zweitens habe ich von seiner Brust die ersten "Platenigln" geholt, drittens haben die Kameraden von ihm immer so verächtlich gesprochen und das kann ich einmal nicht leiden. Was kann er dafür, daß er nicht höher ist ? Aber schön ist er und hat so etwas Nachdenkliches, Stilles, Geheimnisvolles. Über dem furchigen Felsengesicht sitzt ein lichtgrünes Samtkäppchen, über das lichtgrüne Wams fließt ein schwerer schwarzer Waldmantel nieder, der unten mit dem Goldband der Saaten besetzt ist und im Herbst, wenn die Lärchen gilben und die Buchen brennen, mit Gold und Rot reich durchstickt wird.

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Auch Unholde gibt es hier in Wald und Hang, wirkliche und aus der Furcht geborene und elbische Wesen, die es dem Menschen gut meinen, deren seine Stimmen aber übertönt werden von Selbstsucht und Geldrausch. In Herbstnächten braust die wilde Jagd vom Bergkamm herab, der Ga'wind, und legt heulend und jauchzend der Bergwald nieder. Im Frühling brüllen und donnern die Lawinen, im Sommer lauert die Kreuzotter in Wasen und Geblätt. Einmal fand ich hoch oben in einem Kalkgeröll, etwas östlich vom Achselkopf, eine weiße Kreuzotter mit tiefschwarzem Zackenband. In der Nähe stand ein Hirt und ich plauderte mit ihm über diese "Würm". "Ja," sagte er, "die Beißwirm warn nu a leichts, aber untern Axl (Achselkopf) sein die Vipern, dös sein gar die örgstn. Nit länger as wia a Finger und ganz schwarz. Wenn da a Mentsch zuachi kimmt, schtölln sie si af'n Schwanz und springen an un, da kunn er nit fliach'n. Und wenn oan die Viper beißt, nacher ischt er hin, aber gach." - "A woll a so?" - "Ja, dös hat der Vatter oft derzöhlt, er woaß an Platz, wo sie sein und hat an öttligi kennt, di vu' den Biß gstor'm sein."

Der Goaßer Franzl, mein Freund, erzählte mir einmal, als wir vor dem Unwetter uns in die Gufln verkrochen hatten, die Geschichte von den goldenen Füßen des Achselkopfes: Der Axlkopf steaht af drei goldani Fiaß. Friager hat er vieri 'kabt, aber oan hamms außer und iaz hat er nur meahr drei. Dös ischt a so 'kemmen: Amal ischt a Knapp vun Kersch'ntal aui in die Knapp'mlöcher 'gangen. Wia er zun Wald ban höttingerbild kimmt, krad obern zwoat'n Briggele, steaht a kloans grau's Mandl nöbn an Weg und sagt: "Wo geahscht'n hin ?" "Ins Arz." "Mit der Miah weart wögn den Dröck. I wissat dar öppas Besseres. Geah mit mir!" Und's Mandl geaht voaraus aui in Wald und der Knapp hint'n nach. Galig kemmans zu an Loch und da schliaft's Mandl eini. Und wia's dreing'wes'n ischt, ischt 'an Knappen fürkemman, er sicht in Schluf drein an goldanan Schein. Teigl, denkt er si', da muaß a Schatz drein sein. Alloan hat er mit sein' Humer (Hammer) nix derrichtet, iaz hat er halt vun Dorf auer Leit' 'kohlt, dö eahm helfn. Richtig, wia s' a Weil grabn, geaht a Goldkum'm hear, so groaß, daß s'n kam derschleppet hab'm. Mit den sein si nacher oi zun Bärn z' Hötting und habn halt glarmt und schrien und Kiachl und Wein ungschaft. Wia sie halbet bsoffn gwös'n sein, sagt oaner vu' die Löter: "Mander, iaz miaß mar nu den Goldklumpen Fiaß machn, daß er tanzn kunn und tassn miaß mern a!" Akrat habn s' nacher unter den Klumpen vier Plattkiachl einitun und mit an Spritzkibl Wein drüber goss'n. Da weard der Klumpen alm kloaner und kloaner, bis galing gar nicht meahr da gwösn ischt. Jaz ham s' freilig langi G'sichter gmacht, kunnscht der woll denkn. In nagschtn Tag sein si wieder aui, find'n a dös Loch wieder und picklan drau los, weil sie gmoant habm, an zwoatn Fuaß wearn sie glei' habm. Derweil hat's aber an Schnall tun und die ganzi Gruabn ischt eingfalln und alli hats derschlagn. Seider hat nöamad meahr an Gluschtn 'kabt zun Goldgrabm und koa Mentsch woaß meahr, wo dös g'wös'n ischt.

Soweit der Goaßer Franzl. Auch von einem alten Männlein ging lange Zeit die Sage, das beim Rauschbrunnen Gold wusch. Wenn man in die Nähe kam, war es verschwunden. "Am Golde hängt doch alles!"

Ganz oben auf dem grünen Käppchen des Achselkopfes fand man zu gewissen Zeiten einen Kreis von Kohlen, in der Mitte Spuren eines Bocksfußes, ringsumher war das Gras zerstampft. Ein Schäfer, der in der kleinen Hütte, gegen das Brandjochkreuz hin, übernachtete, sah ein Feuer am Achselkopf, um das die Hexen sprangen und tanzten. Der Bocksfuß gehörte dem Teufel.


Heute führt ein schöner Steig von der Höttinger Alm auf den grünen Rücken des Achselkopfes, ein Hüttchen grüßt freundlich ins Tal herab. Dort, wo die Hexen tanzten, standen wir später oft in der Sonnwendnacht um die jauchzende Lohe und schwangen die Fackeln und sangen Freiheitslieder und heute erhebt sich an dieser Stelle ein schlichtes Denkmal für die Helden des Weltkrieges. Von da aus sieht man die Brennerberge, und wenn die Augen feucht werden, ist das wohl nicht vom Jochwind allein, der vom Felsenschloß der stolzen Riesenkönigin Frauhitt her fauchend über die Felsrippen springt.


J. Pöll in: Tiroler Heimatblätter, Heft 3, 1926, Seite 76f.