Der Friedhof zu Allerseelen
In den Zwanziger Jahren geschah es, daß der Herr Pfarrer zu St. Nicolaus bei Innsbruck zwischen dem Allerheiligen- und dem Allerseelentage Mitternachts erwachte. Er blickte vom Fenster nah dem Gottesacker hinüber, da sah e auf jedem Grabe Lichter brennen, auf manchen sogar deren mehrere, und alles Leute dort herumgehen. Damals war der Widum im Hause, welches jetzt der Kaufmann Handl besitzt, daher heiß man es noch jetzt "den alten Widum", von wo aus man, wie jedermann weiß, sehr gut in den Gottesacker sieht.
Der Pfarrer weckte die Häuserin und schalt sie aus, daß sie ihn nicht früher geweckt habe; es sei schon alles aufgezündet und bereit zum Umzug auf den Gräbern; denn er glaubte, er habe sich verschlafen.
Die Häuserin schaute auch beim Fenster hinaus, sieht, und wundert sich, und sagt:
Es ist ja erst zwölf Uhr Nachts!
Aber der Geistliche geht bald sich anzuziehen, und in die Sakristei, zu der durch den Gottesacker der Weg führte. Wie e nun auf diesen kommt, ist alles finster.
Da hat ihn ein Schauer überfallen; er betete, und da schlägt
es just zwölf Uhr. Dann kam der Nachwächter vorbei und sagte
zum Geistlichen: Das war eine merkwürdige, schöne Allerseelenbeleuchtung
auf dem Gottesacker - er hatte es auch gesehen. Hierauf betete auch er
einige Vaterunser für die armen Seelen.
Quelle: Mythen und Sagen Tirols, gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Zürich 1857, S. 340