Murbl

Ein ebenfalls halbmythischer sonderbarer Wurm, der weder in alten noch neuen Fabeln, Märchen und Sagen begegnet, ist "der Murbl", ein Wurm, den viele Leute im Wurmbachthale gesehen haben wollen, der alle fürchten machte, und vor welchem auch der Muthigste davon liefe, der ihn zu Gesicht bekäme.

Daß eine sonderbare Gattung Würme dort leben müsse, bestätigten ruhige, furchtlose Hirten, die ihn gesehen haben wollen.

Alte Erzählungen lassen den ort einst von vielen solcher Ungeheuern bevölkert sein, daher der Bach, welcher durch Wurmthal läuft, "Wurmbach" genannt wird.

Anfangs vom Wurmbach, unweit der Arzleralpe, am sogenannten Arzlerberg, bewohnt ein solcher Wurm ein großes Loch, welches unter einem Waldbaum hineinmündet. Er wird so beschrieben: Der Murbl ist nicht länger als gut 1½ Schuh, wie ein eingefatschtes Kind, oder ein guter Mannesschenkel dich "tschekat" (schäckig), mehr roth, gerade so, wie man türkischen Persch (Pers) * als Weiberleutkleider trug; so daß es manchem geschah, daß er den über'n Weg oder vor'm Loche liegenden Wurm für ein Stück türkischen Pers hielt; ein anderer meinte, es sei ein in bunten Windeln mit rothen Bändern eingebundenes Kind, denn es hatte der Kopf viel Aehnliches mit einem Kindskopf der Rundung nach.

Es ist erst vier Jahre her, als der "Josl Hansl" (Johann Dollinger) von St. Nikolaus in dortiger Gegend im Holzen war, und den Murbl außem Loch rauschen hörte, und ihn bald wieder hineinschlüpfen sah. Da machte sich Josl Hansl bald durch.

Die alte Roslerinn, eine Bäurin von Hötting, hat ihn vor dreißig Jahren genau gesehen und beschrieben; dieselbe sah in jedoch weiter unten beim sogenannten "dritten Schuß" im Gesträuche beim "Dorishäusl", im Weiherburger Bezirk.

Der Todtengräber Fleckinger zu St. Nikolaus sah ihn vor einigen Jahren bei der Arzleralpe. Er sagte, daß "die Murbl" in frühen Zeiten erschossen wurden, und das Fett davon gut zu brauchen war. Er selbst aber hat noch keinen erschossen und hat gewaltigen Respekt vor dem Murbl.

* Pers, ugs. Persch: bedrucktes Sommerkopftuch, mit klein gesprenkeltem Muster auf dunklem Grund, auch Kattunkleid

Quelle: Mythen und Sagen Tirols, gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Zürich 1857, S. 379