Stiftsarzt Dr. Hippolytus Guarinoni

Es war bald darauf einmal eine herrliche, glashelle Juninacht. Kein Lüftchen regte sich. Der Mond schien so hell zu den Fenstern herein, daß man ganz gut eine Zeitung lesen konnte. Merkwürdigerweise kam lange kein Schlaf über mich. Endlich fielen mir doch die Augen zu. Es mochte auf 12 Uhr gehen. Da hörte ich in anstoßendem Mittelzimmer, in dem die Eltern Besuch empfingen und das sehr geräumig war, starken Lärm. Ich setzte mich vollends wach im Bette auf und horchte gespannt. Es war, als ob kleinere Möbelstücke, Sessel, Fußschemel, umgeworfen würden. Ich dachte nichts anderes, als daß meine Eltern aufgestanden waren und im Dunkeln anstießen und stand endlich auf, um nachzusehen. Als ich das Mittelzimmer betrat, kamen mit ängstlichen Augen meine Eltern selig auf mich zu und frugen: "Bist du aus dem Bett gefallen oder was machst du denn?" Während wir drei uns ansahen, polterte es weiter. Die Nachtkästchen der Eltern in ihrem Schlafzimmer wurden anscheinend heftig umgeworfen - und doch rührte sich nichts. Diese Nacht schlossen wir bis morgens kaum ein Auge. Das Weihwasserkesselchen bekam öfters Besuch. Die Eltern ließen die Kerzen brennen. Am andern Morgen frug der Schweizer Herr die Eltern, ob vergangene Nacht Besuch gekommen wäre, was die Eltern als Spaß oder Spott auffaßten. Auf Ersuchen erzählte dann der genannte Herr, dem das spätere Magdzimmer, dessen einziges Fenster auf das Stiegenhaus hinausging, eingeräumt war, folgendes: "Wegen Zahnschmerzen blieb ich vollständig wach. Als es 12 Uhr schlug, hörte ich die Haustüre aufsperren. Langsam kamen paarweise Herren und Damen, schwarz gekleidet und sehr altmodisch, die Treppe herauf und gingen zur Vortüre hinein und um 1 Uhr wieder heraus und die Treppe hinunter, auch habe ich wieder die Haustüre schließen gehört." Der Herr konnte die Kleidungen nicht recht beschreiben. Besonders erinnerte er sich an einen schönen Herrn mit einem Vollbart. Einige Zeit darauf bekam Mama selig eine Abbildung der Philippine Welser in die Hand und zeigte dieselbe dem Herrn. Die Kostüme seien sehr ähnlich gewesen, behauptete dann der Schweizer Herr spontan. Die Beschreibung des stattlichen Mannes mit dem langen Barte und der reichen Kleidung mahnt sehr an das Porträt des berühmten Stiftsarztes Dr. Hippolytus Guarinoni, dessen Sohn ja auch Besitzer des Hauses war.


Stiftsarzt Dr. Hippolytus Guarinoni, Mosaik
Stiftsarzt Dr. Hippolytus Guarinoni (1571-1654) übergibt kniend der Muttergottes eine Schriftrolle. Zu seinen Füßen
ein Kirchenplan, der an die Wallfahrtskirche in Volders erinnert. Maria mit Zepter, das Christuskind
stehend auf ihrem linken Knie mit Reichsapfel. (Mosaik, 1903, Milser Tor, Hall)
Schriftband: Dem Kgl. Stiftsarzte Dr. Hippolytus Guarinoni + 1654 die Marianischen

Herren-Congretationen v. Hall u. Innsbruck. Im Jubeljahre d. Stadt Hall 1903
Die Marianische Kongretation der Bürger wurde 1606 von den Jesuiten in Hall errichtet,
H. Guarinoni und der Stiftskapellmeister Simon Kalb waren die ersten Assistenten. (Vgl. Ludwig Rapp,
Hippolytus Guarinoni, Stiftsarzt in Hall, 1903, S. 37f)
© Berit Mrugalska, 28. April 2004

Quelle: Geistererscheinungen im Haller Damenstift, nach anvertrauten Aufzeichnungen des Frl. Ida Feuerstein, Oberstaatsbibliothekar Dr. Hans Hochenegg, Tiroler Heimatblätter, Heft 7/9 1955, S. 90.