Die Stiftsdame im Schlafzimmer
In den Jahren 1892, 1893, 1894 bis 1899 hatten wir viel zu erdulden an
Angst und Schrecken in diesem Hause. Recht unheimlich war das sogenannte
"Schlurfen", d. h., als ob jemand mit viel zu großen Hausschuhen,
ohne die Füße zu heben, herumschreitet. Dann wieder das Rauschen
von seidenen Frauenkleidern. Das Schreckbarste war das Anblasen, eine
unheimliche Zugluft plötzlich, sogar beim heizten Ofen oder beim
hellen, klaren Sonnenschein in der schönsten Sommerzeit. Da erschraken
wir am meisten. Eines Abends, es war i n der Seelenoktav im November,
sagte Mutter, blaß und bekümmert: "Heute geh ich ungern
schlafen. Die Zugluft, die mich so ängstlich macht, umgibt mich fortwährend."
Auch Papa war kleinlaut geworden. Ohne Weihwasser und geweihte Rosenkränze
wäre keines schlafen gegangen. Am andern Morgen erzählte Mama,
daß sie beide nicht schlafen konnten und die Kerze brennen ließen,
da das Anblasen und das Zerren an den Polstern sehr beängstigend
war. Papa stand dann auf und wollte die Petroleumlampe anzünden,
fand aber, daß kein Öl mehr vorhanden war. Um Petroleum ging
er in die Küche, in welche man durch einen anstoßenden winzigen
Raum kam. Nun hörte Mama eine Frauenstimme sprechen und rief erschreckt:
"Anton, mit wem sprichst du?", daraufhin stand eine Dame in
der Haller Stiftstracht unter der Türe des kleinen Gelassen und sprach
im hohen Fistelton sehr eifrig. Mama glaubte an einen wirklichen Eindringling
und rief ängstlich energischen Tones wieder: "Anton, Anton,
schau, da steht eine!" Darauf war die Erscheinung verschwunden.
Quelle: Geistererscheinungen im Haller Damenstift, nach anvertrauten Aufzeichnungen des Frl. Ida Feuerstein, Oberstaatsbibliothekar Dr. Hans Hochenegg, Tiroler Heimatblätter, Heft 7/9 1955, S. 90f.