Der Schatz im Wandschrank
Die mir seit vielen Jahren nahegestandene Kunst- und Goldstickerin Frau Anna Witwe Hornsteiner geb. Pircher, gestorben 1928, durch lange Jahre Vorsteherin des Frauenbundes St. Anna, erzählte mir folgendes: "Bevor ich mich mit meinem seligen Martl verheiratete, bewohnte ich mit mehreren Lehrmädchen eine Wohnung im alten Landgerichte, anstoßend an den Stiftsfriedhof. (Ursprünglich war es die Kapell-Behausung des Königlichen Stiftes. Jetzt ist es im Besitz des Katholischen Arbeitervereins und beherbergt die Druckerei Union. Jetzige Mieter erklärten mir, das Gebäude sei so nüchtern wie nur möglich; sie hätten niemals etwas Ungewöhnliches bemerkt, ein früherer Bewohner aber sagte mir, es wäre ihm dort schon nicht ganz geheuer gewesen. Der Schriftleiter.)
Merkwürdig war in diesem Hause das oftmalige Getrappel, das viele Laufen und Gehen. Sehen konnte man nichts. In einen der Keller dürfte wohl auch ein unterirdischer Gang münden. Nach Ausbruch der Dunkelheit traute sich niemand in den Keller, da von dort aus ein Seufzen und Stöhnen weithin vernehmbar war. Frau Hornsteiner wohnte in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in jenem Haus. Da sie niemals darüber sprach, obwohl sie es am besten wissen mußte, will ich nacherzählen, was Stadtkoch Fuchs im erwähnten Buche darüber berichtet: Im Zimmer, wo meistens an den Paramenten gearbeitet wurde, war ein eingebauter Wandschrank. Als die Meisterin einmal auf einen Augenblick weggegangen war, überkam die Lehrmädchen eine plötzliche Gier, im alten Schranke herumzusuchen. Sollte dabei eine Neugierige auf eine verborgenen Feder gekommen sein - auf einmal sahen die drei Mädchen ein Fach, gefüllt mit herrlichen großen und kleinen Perlen, Edelsteinen, Goldplättchen, Gold- und Silbersternen, so viel und so reichlich, daß die drei Mädchen nicht genug schauen konnten. Da hörten sie den -Schritt der Meisterin und hatten den üblen Einfall, das geöffnete Fach zurückzuschieben und die Türe zuzuschlagen. Sie berichteten alles getreulich, jedoch alles spätere Suchen war vergeblich.
Quelle: Geistererscheinungen im Haller Damenstift, nach anvertrauten Aufzeichnungen des Frl. Ida Feuerstein, Oberstaatsbibliothekar Dr. Hans Hochenegg, Tiroler Heimatblätter, Heft 7/9 1955, S. 89.