WIE HAYMO DEN RIESEN THYRSUS ERSCHLUG
In fernen Zeiten kam aus dem Rheinland ein Riese ins Inntal und ließ sich da nieder, wo heute Wilten liegt. Er hieß Haymo und überragte weit alle übrigen Menschen und übertraf sie an Kraft und Stärke. Zur gleichen Zeit wohnte bei Seefeld auf rauher, winddurchbrauster Höhe ein zweiter Riese, der sich Thyrsus nannte. Sein Stamm war schon seit undenklichen Zeiten dort gesessen - allein und ungestört - und so hauste auch er dort oben, einem Eber gleich, im eigenen Waldrevier.
Als er von der Ankunft Haymos hörte, verfinsterte sich sein Gesicht, er ballte die Riesenfaust und in seinem Herzen sammelte sich Groll und Haß wie auf dunklem Bergeshang die schwarzgrauen Gewitterwolken. Er wollte nicht dulden, daß ein andrer sich niederlasse im Bereich seiner Berge, deshalb dachte er nach, wie er den fremden Mann wieder aus dem Lande verdrängen könne.
Aber auch Haymo hatte von seinem Gegner und dessen Anschlägen vernommen. Wutentbrannt brach er auf und zog dem Ufer des Inns entlang ins Oberland. Hinter Zirl auf sonniger Wiese - heute heißt der Ort Dirschenbach - stieß er auf Thyrsus und rannte ihn mit seinem wuchtigen Schwert an. Überrascht sah sich Thyrsus um eine Waffe um, riß die Birke aus, die neben ihm stand, und setzte sich damit zur Wehr. Weitum ertönten Berg und Tal von den grimmigen Schlägen und im Walde bebten darob die Bäume bis tief in die Wurzeln hinab. Da stach Haymo seinem Widersacher eine tiefe Wunde in die Ferse, so daß ein Strahl hellen Blutes heraussprang. Thyrsus nahm einen Wasen, stopfte sich damit die Wunde zu und sprang keuchend bergan bis zum Leitnerkogel, wo ihn Haymo einholte und niederschlug. Der Boden trank sich voll vom Blute des todwunden Riesen, der mit ersterbender Stimme rief:
"Spritz Bluet
Ist für Vieh und Leut guet."
Heute noch wird in Seefeld aus dem harten Stein das heilsame Dirschenöl
(Thyrsusblut) gewonnen. Als Haymo den erschlagenen Mann vor sich liegen
sah, erfaßte ihn Reue und Entsetzen über seine Bluttat. Ermattet
ließ er seinen Kopf auf die Brust sinken und sprach zu sich selber:
"Ich will für meine Mordtat Sühne tun."
Er beugte sich dem Kreuze, nahm das Christentum an und gründete ein Kloster, dem er nach der wilden Gegend den Namen Wilten gab. Als der Bau vollendet war, nahm Haymo im Kloster Wohnung, starb dort im Jahre 878 und wurde in einem Riesensarg in der Wiltener Stiftskirche begraben.
Nach der Fassung von Prof.Dr.Hans Gamper, Auszug
Diese Sage ist wohl keine typische Inzinger Sage, sie hängt aber mit der Besiedlung unsres heimatlichen Raumes so eng zusammen, daß es berechtigt ist, sie in den Inzinger Sagenschatz aufzunehmen.
Wie Haymo aus der Ferne kam, bei Leiten den bodenständigen Thyrsus
erschlug, die Herrschaft übernahm, dann das Heidentum ablegte und
ein Kloster gründete, so wanderten einst die Deutschen ein, drangen
zum Teil über den Seefelder Sattel vor, rangen die altansässige
Bevölkerung nieder, übernahmen die Herrschaft im Lande und gründeten
Siedlungen. Als sie das Christentum angenommen hatten, das in Wilten und
Martinsbühel schon zur Römerzeit Eingang gefunden hatte, erbaute
ihr frommer Sinn allenthalben Kirchen und Klöster.
Quelle: Dorfbuch Inzing, Franz Pisch.
© Ernst Pisch.
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