Eine gruselige Wette
Der am 6. Juli 1913 in Trins verstorbene ledige "Prangerhans" war eine von jenen knorrigen, urwüchsigen Bauernnaturen, die ob ihrer Eigenart lange nach ihrem Tode in der Volkserinnerung weiterleben. Urwüchsige Gestalten werden nicht so leicht vergessen, sie leben in der Volksseele fort, gleichsam als ein Stück Heimat, und es ist füglich auch eine Art Heimatpflege, von ihnen zu erzählen und das Erzählte niederzuschreiben.
Der besagte "Prangerhans" fühlte in sich eine sehr heiße Liebe zum Branntwein, für den er den Kosenamen "Pruzger" hatte. Auf seinen Berggängen als Hirt usw. nahm er immer eine oder zwei Flaschen von seinem geliebten "Pruzger" mit und versteckte eine Flasche an irgend einem Plätzchen, um auch für den Rückweg versorgt zu sein. Allerdings war bei der Rückkunft bisweilen die Flasche leer oder mit Wasser gefüllt, wenn boshafte Freunde die Flasche ausfindig machten und sich selbst am "Pruzger" erfreuten.
Das stärkste Stückl, das sich Hans leistete, war folgendes:
In Stiners Gasthaus saß eines Abends eine Zecherrunde mit unserm Hans als Hauptperson, Es ging gegen die mittern ä chtliche Stunde, die Alkoholgeister rumorten und weckten tolle Gedanken. Man sprach vom Geisterspuk und vom F ü rchten und brachte die Rede auf die Totenschädel im "Beinerhaus". Ein Zechgenosse begann zu sticheln und meinte, einen Totenkopf zu holen getraue sich Hans nicht. Das Redegepl ä nkel endete mit einer Wette um einen Liter Schnaps, nach welcher Wette Hans einen bestimmten Totenkopf zu holen und vorzuzeigen hatte. Als sich Hans davonmachte, begann es der Zecherrunde unheimlich zumute zu weiden, und man versperrte die Gasthaustür. Hans nahm den Totenkopf ohne Bedenken an sich, und da er ins Gasthaus nicht mehr hineinkam, trug er ihn nach Hause und stellte ihn daheim auf den Stubentisch. Da wurden ihm von Hans eine Flasche Branntwein und ein Butterwecken vorgestellt. Hans hoangartete mit dem Totenschädel, der einem einstigen Zechgenossen gehört hatte, und ermunterte ihn, nicht so gschamig zu sein und zu trinken und zuzugreifen mit den Worten: „Jz trink Krautskerl, bis nöt so gschamig, fchneid'r oar an Butt'r, du Host in Pruzger a olm gearn ghobt, bist a woltan a Noss'r gwösn!" — Der verstorbene Andrä Nagele von Kolbeler, den es gerade die Nachtwache traf, war auf feinem Pflichtgange unfreiwillig Zeuge dieser unheimlichen Totenkopfhuldigung.
Mitgeteilt von Oberlehrer J. Meßner, Trins.
Quelle: Tiroler Heimatblätter, 12. Jahrgang, Heft 11, 1934, Seite 445.