Das Valdigestei-Mannl auf Partitsch
In der Valdigesteischlucht soll in alter Zeit ein kleines, mit Haaren bewachsenes Männlein gehaust haben, das sonst keine Kleider trug und allgemein unter dem Namen Valdigestei-Mannl bekannt war. Das Mannl habe vom Partitschhofe das Vieh vom Frühjahr bis zum Herbst gehütet. Morgens holte es das Vieh vom Hofe ab und brachte es abends wieder zurück. Kaum war das Vieh im Stall, verschwand das Männlein. So ging es viele Jahre fort. Als einmal im Herbst das Vieh schon nicht mehr zur Weide getrieben werden konnte, sagte die Bäuerin zum Bauern, jetzt kommt der lange kalte Winter, das Männlein hat uns schon so viele Jahre das Vieh gehütet und es verlangte nie etwas, weder Kost noch Kleidung, noch Lohn, wir wollen ihm wenigstens für den kalten Winter ein Kleid machen lassen. Der Bauer war einverstanden und beide berieten, welche Farbe das Kleid haben soll, damit das Männlein eine Freude daran habe. Die Bäuerin wußte, daß das Männlein die rote Farbe am meisten liebe, denn sie hatte beobachtet, daß das Männlein, sobald sich im Frühjahr die erste rote Blume zeigte, darum herumtanzte und vor Freude Purzelbäume schlug. So wurde beschlossen, für den treuen Hüter ein schönes rotes Kleid anfertigen zu lassen. Nun entstand noch die Frage, wie man ihm das überreichen kann, denn das Männlein näherte sich nie dem Hofe. Auch hierüber wußte die Bäuerin Bescheid. Man legt es einfach beim Feldkreuz nieder, und die rote Farbe wird das Männlein schon anlocken. So geschah es. Als am letzten Weidetag das Männlein das Vieh heimwärts trieb und das rote Kleid beim Feldkreuz sah, schlug es Purzelbäume vor Freude. Es zog das Kleid sofort an, betrachtete sich von allen Seiten und sprach das erste und letzte Wort, das die Hofleute von ihm zu hören bekamen:
"I bin ein Ti-ti-Mannl, i nit mehr hüten kann."
Seitdem sahen die Hofleute das Valdigestei-Mannl nie mehr wieder.
Quelle: Dr. Hermann v. Tschiggfrey, Nauders am Reschen-Scheideck, Tirol, Innsbruck 1932, S. 47.